Makroleben

behalten. Eine solche Sicherheitsmaßnahme ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn nicht zu viele Leute davon wissen.“
    Sam sah Nakamura an. Er wußte, daß der General die Erklärung als eine Beleidigung auffassen würde, da mit ihr ausgedrückt wurde, daß er nicht wichtig genug war, um das gewußt zu haben.
    „Ich kann noch immer die Geiseln töten“, sagte Nakamura.
    Sam sah dem Mann in die Augen. Da war nun machtloser Haß hinter der Pistole. Gefangene wilde Tiere, dachte Sam. Die Nähe der Pistole weckte seinen Zorn. Er sah zu Richard und Margot, zu Mike und Greg. Wenn Nakamura das Interesse an mir verliert, bringt er sie alle um. Die Pistole muß auf mich gerichtet bleiben.
    „Sie sind geschlagen“, rief Richard. „Was haben Sie jetzt noch zu gewinnen?“
    Sam wußte es. Die Hand eines zornerfüllten Puppenlenkers ergriff seinen Körper. Sein Arm hob sich und schlug die Pistole aus Nakamuras Hand. Die Waffe hustete unbeeindruckend, schwebte zu Boden, prallte mit Geklapper davon ab und lag still. Sam ergriff Nakamura bei der Kehle und versuchte, seine Faust zu schließen. Ein abgetrennter Teil Sams sah voller Verblüffung darüber zu, daß er sich nicht um sein Leben kümmerte.
    Der General stotterte und schlug nach ihm. Sam stieß Nakamura um und stolperte auf ihn. Er spürte eine Wut, deren Existenz er fast vergessen hätte. Nakamura zerrte die Hand von seiner Kehle weg, aber Sam schlug ihn auf das rechte Auge; der General heulte auf. Sam versetzte ihm einen Kinnhaken; Nakamuras Kopf schlug nach hinten auf den Boden auf. Er lag still und starrte mit einem Auge zu Sam hoch.
    Ein Paar gestiefelter Füße erschien. „Das reicht, Mr. Bulero“, sagte die Wache. „Wir übernehmen ihn jetzt.“ Die zweite Wache nahm Mike Basil und Greg Michaels die Handschellen ab. Sam stand auf und sah auf Nakamura herab. Der General stand für alles, auf das er hatte einschlagen wollen, seit sie die Erde verlassen hatten. Sam verschob seinen Blick auf Soongs Leiche, die daneben lag. Er hätte ihn vielleicht retten können, wenn er früher gehandelt, wenn er stärker gewesen wäre. Nakamura hat nicht erwartet, daß ich handle.
    Margot kniete nieder, fühlte Soongs Puls und schüttelte den Kopf, als sie nach Sam sah. Plötzlich ging Sam näher auf Nakamura zu und versetzte ihm einen Tritt in die Rippen. Der General stöhnte.
    Richard ergriff Sam am Arm, um ihn zurückzuhalten. Sam rührte sich nicht und sah auf die Pistole auf dem Boden herab, als enthielte die Waffe irgendwie alle Geheimnisse der Schöpfung. Er hatte gehandelt, weil er Schwäche gespürt hatte, in sich selbst und in Nakamura. Dieses eine Mal standen seine Gedanken in voller Übereinstimmung mit seinen tiefsten Empfindungen. Die engen Ziele des Putsches des Generals hatten mit einemmal Sams Einsichten zu den Ereignissen der letzten Zeit geklärt. Er hatte im Namen einer Zukunft zugeschlagen, in der das Überleben nicht mehr so unsicher wie in der Vergangenheit war. Das Makroleben stand im Begriff, seinen ersten Schritt aus der Wiege des Sonnenraums zu tun, die Menschheit stand an der Schwelle zu einem umfassenderen Leben – und dennoch hätte das so leicht unmöglich werden können, weil nicht genug Menschen mit einer Vision und gutem Willen vorhanden gewesen waren. Nakamuras Einwände waren nichts als Vorwände für sein Machtstreben. Die Anwesenheit Asteroms war nicht unbedingt notwendig, da seine gesamten Bestände hier und auf dem Mars kopiert worden waren. Sam wurde mit einem Frösteln klar, daß er und Janet sich vielleicht Nakamuras Ansichten angeschlossen hätten, wenn er seine Motive verheimlicht hätte.
    Sam sah Richard und Margot an. Er wußte, daß auch seine Liebe zu ihnen ihn zum Handeln bewegt hatte – aus Kindern wurden Erwachsene, die nicht so sehr den physischen wie den psychischen Ruinen der Sonne den Rücken kehrten.
    Er beugte sich herab und hob die Pistole auf.
    Auf dem Schirm stand Orton neben Alard und steckte sich eine Zigarre an. In seinem linken Auge war ein Loch, wo eine verirrte Kugel aus Nakamuras Pistole den Schirm durchbohrt hatte.
    Richard und Margot umarmten sich, und einen Augenblick lang erkannte Sam etwas von dem Jungen, den er vor langer Zeit gekannt hatte.
    Alard blickte mit finsterem Gesicht in den Raum.
    Die Sonne glitt langsam hinter Jupiter und hinterließ einen kleinen Fluß von rotem Licht an der Kante des Planeten.
    Nakamura rührte sich. Die beiden Wachen halfen ihm auf die Füße.
    „Haltet ihn fest“,