Mala Vita
mit dem Auto zu uns gekommen …« Sie zeigte in Richtung Hecke. »Zwei Männer. Ich habe sie hier noch nie gesehen.«
Luciano, der gerade einen abgestorbenen Ast klein schnitt, richtete sich auf und spähte über einen dichten Buchsbaum. Sofort verdüsterte sich seine Miene. »Topolina, geh ins Haus!«
»Kennst du die Leute?«, fragte sie neugierig.
»A casa, capisci!«,
erwiderte Luciano scharf.
»Subito!«
Erschreckt schaute sie aus großen dunklen Augen ihren Vater an, doch seine Miene duldete keinen Widerspruch. So hatte Papa sie noch nie angefahren. Dicke Tränen schossen ihr in die Augen. Wie konnte er nur so ungerecht sein?
»Warum?«
»Weil ich es dir sage«, erwiderte er in harschem Befehlston.
Wütend wandte sie sich ihrer Mutter zu. Lisa hatte ihre Arbeit unterbrochen und blickte ihren Mann irritiert an.
»Che cosa sta succedendo?«
Luciano deutete mit dem Kinn in Richtung Einfahrt und legte seine Baumschere zur Seite. »Geh sofort in dein Zimmer!«, brüllte er seine Tochter an, und seine Augen schienen Funken zu sprühen.
Topolina rannte ins Haus, stürmte die Treppen hinauf in ihr Zimmer und warf sich aufs Bett. Ihr Gesicht vergrub sie ins Kissen. Am liebsten hätte sie ihren Rucksack gepackt und wäre abgehauen. Nach Hause, nach Italien, nach Agrigento zu ihrem Onkel. Sie hatte Geld gespart, und irgendwie würde sie es schaffen.
Ein trockenes Rattern riss sie aus ihrer verzweifelten Wut. Gleich darauf hörte sie markerschütternde Schreie ihrer Mutter. Topi sprang auf, rannte zum Fenster und blickte hinunter in den Garten. Papa lag ausgestreckt auf dem Boden, über ihn gebeugt Mama. Ihr Körper schien vor Schmerz zu beben und ihr Wimmern ließ Topis Herz beinahe stillstehen. Aber weshalb hatte Mama blutige Hände, und warum lag Papa am Boden? Wie in Trance verfolgte sie die Szenerie im Garten. Erst jetzt sah sie auch die zwei Männer aus dem Auto. Keine zehn Meter standen sie von den beiden entfernt. Junge Männer mit Sonnenbrillen und Maschinenpistolen.
Der eine rief dem anderen etwas zu, dann hob er seine Waffe und feuerte eine Salve auf Mama. Wie von wuchtigen Schlägen getroffen wurde sie zurückgeworfen und brach im Gras zusammen. Topi schrie auf und presste ihre Hand auf den Mund. Sie keuchte, bekam Atemnot. Nein, das war kein böser Traum. Auch kein Film … Mama und Papa lagen still auf der Erde und regten sich nicht. Durch Mamas schneeweiße Bluse sickerte ein dicker dunkelroter Fleck, der sich schnell ausbreitete. Wie paralysiert verharrte Topi hinter dem Vorhang und starrte in den Garten.
Dann sprachen die beiden Männer miteinander und suchten mit ihren Augen das Grundstück ab. Einer von ihnen blickte zum Haus, und Topi zuckte zurück. Eiseskälte kroch ihr in die Adern. Ihr Leib bebte. Ihr war, als würde sie innerlich erfrieren. Die Männer kamen jetzt ins Haus. Sie konnte hören, wie sie das Wohnzimmer betraten und durch das untere Stockwerk streiften. Eine Tür wurde krachend zugeworfen. Ihr kleiner Bruno bellte wütend. Zwei, drei harte Schüsse fielen, und sein jämmerliches Jaulen hallte im Treppenhaus.
»Grasso«, hörte sie eine Stimme rufen, »hier unten ist niemand.« Dann kamen die beiden näher. Vorsichtige, schleifende Schritte auf den Stufen. Topi konnte nicht mehr denken und fühlen. Angst raubte ihr alle Sinne. Sie hielt den Atem an und suchte fieberhaft nach einem Ausweg.
»Grasso«, rief die harte Stimme erneut. »Ist die Göre oben?«
Grasso antwortete nicht, aber seine Schritte kamen näher …
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Oberst Fessoni
A uf dem mit weißem Damast gedeckten Tisch im Garten des Ristorante
»La Staffa«
an der Via Belmonte stapelten sich neben einer Kaffeetasse und einem geleerten Teller die neuesten Tageszeitungen. Die meisten schienen hastig durchgeblättert und achtlos wieder zusammengefaltet worden zu sein. Nur wenige Gäste hatten sich an diesem frühen Vormittag im
»La Staffa«
eingefunden, einem Gourmetrestaurant direkt oberhalb der Wasserlinie. Sie schienen die Zeit vor der großen Mittagshitze bei einem Campari Soda oder einer eisgekühlten
aranciata
zu einem kleinen Plausch zu nutzen oder sich auf einen wundervoll entspannten Tag vorzubereiten.
Die mit Blumenamphoren und üppig blühendem Oleander gesäumte Terrasse lag offen zum Wasser. Der ungehinderte Blick bot eine eindrucksvolle Aussicht über den Bootshafen mit den eleganten Luxusjachten, die sich in der leichten Brise wiegten. Im Hintergrund erhob sich der Monte Pellegrino, der mit seiner
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