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Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Titel: Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tonino Benacquista
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spielen und seine Grenzen austesten. Das war die widerlichste, weil ängstlichste Form von Aggression, Feiglinge praktizierten sie. Der Amerikaner antwortete nicht sofort. Es war ja auch keine ernst gemeinte Frage gewesen. Ganz gleich, was die drei im Schilde führten, sie waren nicht zufällig hier aufgetaucht. Aber warum ich? , fragte er sich. Warum hatten sie gerade ihn ausgewählt? Er war doch gerade erst angekommen. Wie konnte er in weniger als einer halben Stunde einen solch dummen Hass auf sich ziehen, der – schwieg er noch länger – sich bald entladen würde. Er wusste, warum. Er kannte die Antwort schon seit frühester Kindheit.
    »Was wollt ihr von mir?«
    »Du bist Amerikaner. Du hast Kohle.«
    »Kommt zur Sache. Wie funktioniert euer Business?«
    »Was machen deine Eltern?«
    »Das geht euch einen feuchten Dreck an. Aber wer seid ihr? Schutzgelderpresser? Arbeitet ihr mit System oder eher wahllos? Wie viele seid ihr? Drei, sechs, zwanzig? In was reinvestiert ihr das Geld?«
    »…?«
    »Management und Organisation gleich null. Dacht’ ich’s mir doch.«
    Keiner der drei verstand ein Wort von dem, was der Amerikaner gesagt hatte. Sein Selbstbewusstsein war ihnen unheimlich. Der Anführer fühlte sich irgendwie beleidigt, er blickte um sich, dann zog er Warren den leeren Flur entlang, der zum Speisesaal führte. Er stieß ihn so fest, dass er gegen eine niedrige Mauer knallte.
    »Verarsch dich selbst, Ausländer.«
    Mit vereinter Kraft brachten die drei Warren zum Schweigen. Mit dem Knie traten sie ihm in die Rippen, mit der Faust schlugen sie wild in Richtung Gesicht. Einer setzte sich auf seine Brust, durchsuchte seine Taschen und fand einen Zehneuroschein. Sie verlangten von ihm, am nächsten Tag noch mal die gleiche Summe mitzubringen, als Eintrittsgeld ins Lycée Jules-Vallès. Warren, außer Atem und mit knallrotem Gesicht, hielt die Tränen zurück und versprach, es nicht zu vergessen.
    Und Warren vergaß nie etwas.
    *
    Die mittelalterliche Festung Cholong-sur-Avre liegt wie ein Kleinod in unserer normannischen Landschaft. Seinen Höhepunkt erlebte das Städtchen am Ende des Hundertjährigen Krieges, zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Heute leben hier siebentausend Menschen. Die Fachwerkhäuser, hübschen Gässchen, kleinen Kanäle und Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert machen aus Cholong-sur-Avre ein beachtenswertes architektonisches Juwel, das bestens erhalten ist.
    Maggie schlug in ihrem Taschenwörterbuch das Wort »colombage« nach und konnte bei ihrem Gang durch die Rue Gustave-Roger dessen Bedeutung anschaulich erfahren: Die Fassaden der meisten Häuser hatten nämlich frei liegende Balken; etwas, das Maggie noch nie gesehen hatte und was ihr sehr gut gefiel. Zumal sie bei ihrem Weg in die Stadtmitte durch mehrere Straßen ging, in denen ausschließlich diese schönen Fachwerkhäuser standen. Cholong hatte die Form eines Fünfecks, es war umgeben von vier Boulevards und einer Bundesstraße. Obwohl sie mit einem Auge immerzu in den Reiseführer linste, stand sie plötzlich, ohne sie wirklich gesucht zu haben, auf dem Place de la Libération, dem Herzen von Cholong. Der Platz schien in Anbetracht der aparten Gässchen, die von ihm abgingen, etwas zu mächtig geraten. Das gigantische Areal, das außer an Markttagen als Parkplatz genutzt wurde, konnte mit zwei Restaurants, mehreren Cafés, einem Zeitungsladen und der Touristeninformation aufwarten. Maggie kaufte sich ein paar Lokalzeitungen und ließ sich auf der Terrasse des Cafés Roland Fresnel nieder. Sie bestellte einen doppelten Espresso, schloss einen Augenblick lang die Augen und seufzte. Viel zu selten waren die Momente, in denen sie die Einsamkeit genießen konnte. Selbstverständlich standen für sie die Stunden mit der Familie an erster Stelle. Aber gleich danach kam die Zeit ohne Familie. Mit der Tasse in der Hand blätterte sie durch die Dépêche de Cholong und durch die Lokalausgabe des Réveil normand – auch eine Art, ihre neueHeimat kennenzulernen. Auf der ersten Seite der Dépêche prangte das Foto eines fünfundsechzig Jahre alten Bürgers aus Cholong, einst ein regionaler Held im Mittelstreckenlauf, der jetzt sogar an der Seniorenweltmeisterschaft in Australien teilnahm. Er interessierte Maggie so sehr, dass sie den ganzen Artikel las und sofort begriff: Hier war ein Mann, der ein Leben lang mit Leidenschaft gelaufen war und dessen Traum sich am Ende seines Lebensweges endlich erfüllte. Als Jugendlicher war Monsieur

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