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Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Titel: Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tonino Benacquista
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würde das Abitur ablegen, Warren in die Mittelstufe kommen. Trotz der vielen Turbulenzen im Leben der Familie Blake hatte Belle das Niveau halten können, auf dem sie sich in den ersten Jahren an der Montgomery Highschool in Newark bewegt hatte. Schon als junges Mädchen hatte sie geahnt, dass Körper und Geist Hand in Hand agieren, sich gegenseitig befruchten sollten. In der Schule interessierte sich Belle für alles, sie vernachlässigte kein Fach. Doch kein Lehrer auf der ganzen Welt, nicht einmal ihre eigenen Eltern hatten die blasseste Ahnung, warum sie das tat: Belle wollte auf diese Weise ein schönerer Mensch werden. Warren dagegen, er war damals erst acht Jahre alt gewesen, hatte die französische Sprache gelernt, wie man ein Lied lernt, ohne darüber nachzudenken, ohne sich darum zu bemühen. Wegen psychischer Probleme, die sich mit ihrem Wegzug aus der Heimat einstellten, musste er jedoch eine Klasse wiederholen und mehrmals einen Kinderpsychologen aufsuchen, dem man den wahren Grund für die Flucht der Familie jedoch verschwieg. Folgeerscheinungen waren zum Glück keine aufgetreten, doch erinnerte er seine Eltern bei der erstbesten Gelegenheit stets daran, dass er dieses Exil nicht verdient hatte. Wie alle Kinder, denen man viel abverlangt, war auch Warren reifer als seine Altersgenossen, er hatte sich einige Lebensprinzipien zu eigen gemacht, gegen die er nie verstieß. Hinter diesen Werten, die er wie eine kostbare Stammestradition pflegte, verbarg sich ein etwas altmodisches Ehrgefühl, gepaart mit einem guten Geschäftssinn.
    Eine Gruppe Mädchen schlich sich an Belle heran, sie wollten die Neue inspizieren. Monsieur Mangin, ihr Geschichts- und Geografielehrer, begrüßte Mademoiselle Belle Blake beinahe feierlich. Sie verabschiedete sich von ihrem Bruder und wünschte ihm mit einer Geste, die nur jemand verstand, der südlich von Manhattan geboren war, alles Gute. Warrens Unterricht begann erst um neun, deshalb sollte er auf Madame Arnauds Geheiß den Aufenthaltsraum aufsuchen. Warren aber wollte sich lieber erst mal den Laden ansehen und die Grenzen seines neuen Gefängnisses abchecken. Das Hauptgebäude, kreisrund mit spitzen Erkern, hatte man »Gänseblümchen« getauft. In der Mitte gab es eine Halle, die einem Bienenstock glich und in der sich die älteren Schüler aufhalten durften. Hier konnten sie abhängen, flirten, rauchen, Plakate aufkleben, Versammlungen abhalten, mit einem Wort: schon mal Erwachsene spielen. Warren stand ganz allein vor einem Kaffeeautomaten und einem großen Plakat, auf dem das Engagement aller für das traditionelle Schulfest am 21. Juni eingefordert wurde. Er schlich durch Gänge, öffnete ein paar Türen, machte um Erwachsene einen großen Bogen und landete schließlich in der Turnhalle, wo eine Basketballmannschaft trainierte. Er sah dem Team eine Weile zu und war wieder einmal verblüfft über die mangelnde Fähigkeit der Franzosen zu einem intelligenten Spielaufbau. Wenn er da an das Spiel der Chicago Bulls gegen die New York Knicks dachte! Eine seiner schönsten und letzten Erinnerungen an Amerika. Die lebende Legende Michael Jordan hatte er damals leibhaftig von einem Korb zum anderen fliegen sehen. Das allein war schon Grund genug, ein Leben lang seiner Heimat nachzutrauern.
    Eine Hand, die sich auf seine Schulter legte, riss ihn aus seiner Träumerei. Sie gehörte weder einem Aufseher noch einem Lehrer; niemand wollte ihn darauf hinweisen, dass er hier nichts zu suchen hatte. Sie gehörte einem Jungen, etwa einen Kopf größer als er. Er hatte zwei Kumpel, die in zu großen Klamotten steckten, zur Verstärkung mitgebracht. Warren besaß die Statur seines Vaters, er war klein und kräftig, seine Gesten und Bewegungen waren kontrolliert. Sein fester, starrer Blick verriet Entschlossenheit; hinter diesen Augen vermutete man niemanden, der ohne nachzudenken handelte. Er werde mal ein schöner Mann werden, mit markantem Gesicht und grau meliertem Haar, das prophezeite ihm seine Schwester. Aber bis dahin war es noch ein langer Weg.
    »Du! Bist du Amerikaner?«
    Warren streifte die Hand von der Schulter wie eine lästige Fliege. Sie gehörte dem Anführer, das wusste er sofort. Die beiden anderen, sie waren offensichtlich seine Hilfssheriffs, verhielten sich klugerweise ruhig. Warren, obwohl noch recht jung, kannte diesen Tonfall, diesen Befehlston, hinter dem sich nicht gerade ein starkes Selbstbewusstsein verbarg. Da wollte einer aufs Geratewohl den Mächtigen

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