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Malchatun

Titel: Malchatun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Abneigung hegte Tralow gegen den Zunftgeist, und wie er den »zünftigen« Theologen nicht schätzte, so war er auch dem »zünftigen« Historiker wenig geneigt. Der Hauptgrund dafür dürfte die Nüchternheit, ja Trockenheit und Einseitigkeit sein, die freilich noch heute manches Geschichtswerk allzu deutlich bestimmt. Tralow nimmt von hier aus, ähnlich wie Lion Feuchtwanger, Zuflucht zu dem Aristoteleswort von der Überlegenheit des Dichters über den Geschichtsschreiber. Freilich könnte man hier leicht kontern: Thukydides, nicht minder bedeutend als Aristoteles, behauptete das Gegenteil und ist ein noch etwas älterer »Kronzeuge«. Doch der Streit ist müßig: Historie wie Belletristik, auch historische Belletristik, vertreten legitime und kulturell unentbehrliche Anliegen und sind gerade aus unserer Gegenwart nicht wegzudenken. Sollen sie doch in einen edlen Wettbewerb miteinander treten die Allgemeinheit wird dann Nutzen und Verdienste beider gegeneinander abwägen und auch das Fazit ziehen müssen! Tralow selbst hätte als aufgeschlossener und dem Fortschritt vertrauender Mensch nur sein Ja zu einem solchen Vorschlag geben können, den wir ernsthafter als bisher überprüfen sollten: Zur sozialistischen Kulturrevolution gehören die Überwindung jahrhundertealter Fehden und die Beseitigung allzu enger Grenzen, die man mit Hilfe sinnvoller Kooperation allmählich beseitigen kann. Wir meinen, daß der Historiker vom Schriftsteller ebenso gewinnen und lernen kann wie der Schriftsteller vom Historiker.
    Die Benutzung neuester Forschungsergebnisse zur spätbyzantinischen und frühtürkischen Geschichte, die Tralow nach dem zweiten Weltkrieg bei der Entstehung der »Malchatun« noch nicht zur Verfügung standen, wären zweifellos eine wichtige Hilfe für die noch stärkere historische Fundierung des Werkes gewesen. Wäre die tragende männliche Gestalt Osman und die auf den Herrscher bezogene politische Selbstaulfassung der Osmanen nicht noch anschaulicher geworden, wenn der Leser die Inschrift zu lesen bekommen hätte, die Osmans Sohn Orkhan im Jahr 1337 an der Moschee von Brussa anbringen ließ? Sie lautet: Sultan, Sohn des Sultans des Ghazi, Ghazi, Sohn des Ghazi, Dach der Horizonte, Held der Welt - und gibt damit deutlich Auskunft über die Gründe der türkischen Expansion als Maßnahme gegen die christlich-europäischen Kreuzzüge. Osman als Ghazi, als Glaubenskämpfer - an der Spitze von Derwischen, Ahis und anderen Ghazis, meist kriegerischen jungen Männern, die zugleich theologisch geschulte Muslims waren das ist ein Thema oder Unterthema, das Tralow leider entgangen ist. Auch von den Akinci, meist griechischen Söldnern, die sich gern von den Türken anwerben ließen und als Kundschafter und schnelle Grenztruppe berühmt wurden, ist nicht die Rede.
    Hier und da idealisiert Tralow, offenkundig um Malchatuns willen, die Osmanen auch etwas, so daß die Darstellung gewisse utopische Züge annimmt. So ist mir nicht aufgefallen, daß er den türkischen Sklavenhandel, der sich in den Grenzgebieten und dann auf dem Meer ständig ausdehnte, berührt hätte. Gerade hieran ließe sich jedoch die weniger ideale als vielmehr realpolitische Einstellung Osmans und seiner Nachfolger messen, die dann auch die Janitscharentruppe schufen, die aus Christen bestand, die im Knabenalter als Tribut an die Pforte ausgeliefert werden mußten.
    Trotzdem - aufs Ganze gesehen, schildert Tralow auch den historischen Hintergrund sachgerecht und stellt den Sieg der Osmanen als Triumph des Neuen über veraltete Formen und Gesellschaftsstrukturen dar - nicht nur in »Malchatun«, sondern auch in den inhaltlich anschließenden Bänden »Irene von Trapezunt« und »Roxelane«. Im »Eunuch« zeichnet sich dann bereits wieder das Absinken der türkischen Macht ab, die sehr schnell ihren Zenit erreicht hatte, schwere militärische Niederlagen erlitt und sich auch innenpolitisch verzehrte und steril wurde.
    Tralows Darstellung erinnert oft an die Erzählungen aus »Tausendundeiner Nacht«. Auf einer gründlichen Sachkenntnis fußend, die er sich auch auf früheren Reisen durch persönliche Anschauung erworben hat, vermag der Dichter die uns fremde, aber heute mehr denn je interessierende Welt des Vorderen Orients in packenden Einzelszenen, die sich zu einem imposanten Gemälde von kolossalem Ausmaß zusammenfügen, vor Augen zu führen. Auch die Eigenheiten seines immer um die Ausschöpfung und Plastizität unserer Sprache bemühten Stils

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