Malefizkrott
aus Zeiten, die Ihre Generation, Frau Nerz, schwerlich wird nachvollziehen können.«
»Oh!«, erwiderte ich lächelnd. »Gerade vorhin erst hat mir eine Verlegerin versichert, wie interessant exakt die se alten Zeiten gerade wieder sind.«
Marianne Brandel warf Richard einen Blick zu. Seine Miene war undurchdringlich, aber nicht unfreundlich.
Misstrauen stieg ihr ins Unterlied. »Ich verstehe nicht ganz, was Sie mit dieser Aussage bezwecken. Und so leid es mir tut, ich kann Ihnen da wirklich nicht weiterhelfen. Heute schon gar nicht. Mein Terminkalender ist eng gesteckt.«
Sie stand auf und zog das Jäckchen straff.
Richard war gleichzeitig aufgesprungen, ganz Gentleman, der niemals saß, wenn eine Dame stand.
»Eine Frage noch, wenn Sie erlauben«, sagte ich, sitzen bleibend. »Sie kannten Durs Ursprung? Ich hoffe, ich bin nicht die Überbringerin einer schlimmen Nachricht, die Sie noch nicht erreicht hat, wenn ich Ihnen mitteile, dass Durs Ursprung von einem bislang Unbekannten in der Filiale einer Buchhandelskette erschossen wurde.«
Marianne Brandel schluckte. »Es ist ein furchtbarer Verlust, auch für mich persönlich.«
»Sie kannten ihn gut, nicht wahr?«
Sie sah nicht aus, als wolle sie mir antworten, dann entschloss sie sich zum Gegenangriff: »Soll das ein Verhör werden?«
»Wir sagen nicht Verhör«, erklärte Richard liebenswürdig. »Das steht in den Büchern immer falsch. Wir sprechen von Einvernahme oder Vernehmung. Aber darum geht es hier nicht. Es geht auch gar nicht um dieses Buch.«
»Frau Staatsministerin«, sagte ich. »Verschiedene Umstände legen mir den Schluss nahe, dass Lola Schrader …«
Marianne Brandel nickte.
»… Ihre Enkelin ist.«
Die Dame setzte sich wieder. Und urplötzlich wuss te ich, worum es hier eigentlich ging. Ich holte Luft, aber Richard bedeutete mir mit einem Zucken im Augenwinkel, Marianne Brandel Zeit zu lassen. Sie war es gewohnt, den Rhythmus einer Konferenz zu bestimmen. Seit vielen Jahren schon gab es niemanden mehr, der sie hetzen, ihr zusetzen oder sie unter Druck setzen durfte.
»Ja«, seufzte sie schließlich, »das wird wohl so sein.« Sie wurde klein in ihrem Freischwinger und blickte erst Richard, dann mich traurig an. »Es war ein Skandal da mals. Mein Gott, Ende der Sechziger! Was habe ich meine Tochter beneidet um die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich, als sie schwanger war, entschlossen hat, das Kind alleine aufzuziehen. Heute ist das so selbstverständlich. Aber damals!« Sie schüttelte den Kopf. »Und ich konnte noch von Glück sagen, dass meine Eltern bereit waren, das Kind aufzunehmen und mir ein Studium im Ausland zu ermöglichen.«
»Und der Vater des Kindes war …«
Alarm und Abwehr traten in ihre Augen.
»… Durs Ursprung«, vollendete ich.
Richard blickte mich überrascht an. Er hatte von mir bisher immer nur gehört, dass Michel Schrader der Sohn von Marie und Wolfi Schrader sei. Und bis eben hatte ich das selbst nicht anders gedacht. Aber warum hatte Marie einst Richard gegenüber bestritten, Durs zu kennen? Wa rum bestritt eine Frau so etwas? Weil sie ihn kannte, und zwar näher, als bekannt werden durfte.
Marianne Brandel seufzte und nickte.
Richard fuhr sich durch die Haare und ging zweifellos blitzschnell, aber gründlich die Konsequenzen durch.
»Michel Schrader ist also der Sohn von Ihnen und Durs Ursprung. Und er wollte die Vaterschaft nicht anerkennen?«, fragte ich sanft.
»Vor allem ich wollte es nicht«, antwortete Marianne und hob das Kinn. »Ich wollte ihn nicht mit Alimenten belasten, einen Hungerleider, wie ich damals dachte, ei nen Buchhändler, der nie viel haben würde. Wolfi dagegen kam aus reichem Hause. Und er hätte ebenso gut der Vater sein können. Ja, er hielt sich für den Vater. Mit Vehemenz. Und da habe ich nicht widersprochen. Damals war man in so einem Fall schnell als leichtes Mädchen abgestempelt. Es war ein Fehler, das denke ich heute auch. Ich habe manches Mal schon daran gedacht, die Verhältnisse richtigzustellen. Aber ich habe nie den richtigen Zeitpunkt dafür gesehen. Es ist ja ein harter Einschnitt in das Leben aller Beteiligten. Ich habe zu lange gezögert, das ist richtig, ich war einfach immer zu beschäftigt. Das ist natürlich keine Entschuldigung. Nur eine Erklärung.«
Sie lächelte Richard an. Er erwiderte das Lächeln. Es war eine schöne Vertrautheit zwischen ihnen. Weder sie noch er wirkten in diesem Moment angespannt.
»Dann hörte ich letztes Jahr im
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