Malefizkrott
fing Schloss und Fabrik auf, das mir aus der Hand gesprungen war.
»Was für ein schönes altes Buch! Das ist mal noch ein sinnliches Erlebnis!« Sie senkte die Nase in die Seiten und schnüffelte. »Druckerschwärze und, hm, Zigarren, und was für ein Knaster.« Sie lachte. »Das hat sicher in der Bibliothek Ihres Großvaters gestanden, wa? Und … Oh! ›Warum brennst du, Konsument?‹ Das ist ja das berühm te Flugblatt Nummer 7 der Kommune 1. Wie kommt das hier herein? Und dieses Loch! Für die Augen einer Krimiverlegerin sieht das aus wie eine Einschussloch.« Sie lächelte mich bezwingend an.
»Es hat demjenigen das Leben gerettet, der gesehen hat, wie Benno Ohnesorg erschossen wurde«, sagte ich.
»Oh, wie das? Das müssen Sie uns erzählen!«
Man zwang mich auf die Bank zwischen orangefarbenen Taschen mit schwarzer Krimikatze, ich bekam einen Kaffee und Kekse und erzählte die wahre Geschichte des Buchs, wenn auch anonymisiert. Schon bald duzten wir uns – »Ich bin die Else«, »Ich Dörte«, »Ich Lisa« – und ein oder zwei Stunden wurden aus meiner Langeweile getilgt.
»Und Journalistin bist du also?«, bemerkte Else, die ich inzwischen für die Verlegerin höchstpersönlich hielt. »Das heißt, du kannst schreiben. Na, wie wär’s? Was du uns über das Buch erzählt hast, wäre schon mal ein guter Krimi. Und RAF ist derzeit wieder ein großes Thema.« Sie lachte.
Ich musterte die ausgestellten Bücher mit dem schwarzen Cover und der gelben Schrift. »Ihr habt doch genug!«
»Gute Krimiautorinnen können wir immer brauchen. Denk darüber nach, ja? Versprichst du mir das?«
Träumt davon nicht jede junge Autorin, jeder junge Schriftsteller? Auf der Messe von einem Verlag aus dem Gang gezogen und zum Schreiben eines guten Buchs überredet zu werden.
»Ich weiß nicht«, sagte ich und bedachte, wie schwer mir das Verfassen der Berichte gefallen war.
Andererseits … Hui, es reizte mich schon! Lisa Nerz hier in den Regalen, auf der Messe, im Fernsehen, ein Bestseller … Kennen Sie schon den neuesten Nerz? Müs sen Sie lesen!
Graaaandios!
In Träumen schwebte ich weiter durch die Gänge. Thomas Mann ist da, soso? Martin Walser … lebt der überhaupt noch? Herta Müller … wer soll das sein? Ach, Nobelpreisträgerin? Jaja. Ihr könnt mich alle mal. Ich bin Lisa Nerz, die demnächst berühmteste aller Kriminal schriftstellerinnen. Ich schreibe auch ab, aber mein eige nes Leben. Ätsch!
Unterdessen wurde es voller. Die Buchhändlerinnen rückten an, Mooskühe in Birkenstockpantoffeln mit gro ßen Taschen für Prospekte über den Schultern, gemischt mit mageren Männern ganz in Schwarz mit dicken Brillen, mächtige Kritiker mit grauen Bärten, Damen in grauen Kostümen, Vertreter in braunen Sakkos. Die Rolltreppen schaufelten Menschen hoch und hinunter. Zuweilen schwamm Prominenz mit, Heinrich Weinrich sah ich, Martin Cäsar, einen Tagesschausprecher und Gesichter, von denen ich sicher wusste, dass ich sie kannte, nur nicht woher.
Auch Matthias Kern lief mir übern Weg. Ohne Krücken.
»Na, geht ja schon wieder!«, sagte ich.
»Muss ja.«
»Und sonst? Yggdrasil hat Ihnen die Rechte abge kauft, höre ich.«
Matthias winkte ab. »Ums Geld ist es mir nie gegangen. Aber es hilft mir aus dem Gröbsten. Und ein Gutes hat das Ganze: Auf einmal wollen gleich zwei Verlage ein neues Buch mit mir machen.«
»Gratuliere!«
Und endlich war es Viertel vor vier. Uff!
Fliegenkopf gehörte zu den größten Verlagskonsortien der Welt und war mir überhaupt nicht bekannt. Sein wirtschaftlicher Erfolg gründete sich auf Druck und Gestaltung EU-interner Berichte und Gutachten, sein publikumswirksamer auf Büchern der Marke Ich & Ich. Von Buchdeckeln schauten Leute, hauptsächlich ältere, die man alle von woandersher kannte, Politiker, Diven, Sportler, Konzernlenker, Päpste und Diktatoren mit und ohne Brille, Zigarre oder Hut, mal das Kinn in die Hand gestützt, mal schreibend, mal dozierend. Sie erklärten, wohin Deutschland ging und woher es kam.
Richard war auch schon da. Er stand am Rand, bei ihm eine junge Frau in schwarzem Rock, schwarzer Weste und weißer Bluse. Sie rang die Hände, lächelte strahlend und flüsterte: »Wenn Sie noch einen Augenblick warten wollen. Darf ich Ihnen vielleicht ein Glas Sekt anbieten? Nein? So, dann Kaffee? Mit Milch und Zucker? Nein. Ja, gut.« Sie huschte davon.
Alle großen Verlage hatten, das wusste ich mittlerwei le, Kabäuschen mit Kühlschränken und
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