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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Sommer von jemandem, dass Wolfi … Wolfgang Schrader sich das Leben genommen hatte«, fuhr sie fort. »Ich habe es ein bisschen auch als Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Immerhin musste ich Wolfi nun nicht noch einmal verletzen, indem ich ihm verkündete, dass er einen Wechselbalg oder – wie man heute nicht unbedingt menschenfreundlicher sagt – ein Kuckuckskind aufgezogen hatte. Aber mein Sohn …« Sie schaute dem Wort nach, wie es aus dem Geviert hinaus unters Dach der Halle schwebte. »… mein Sohn hat wohl ein Recht darauf zu erfahren, wer seine leiblichen Eltern sind. Je älter ich werde, desto wichtiger kommt es mir vor, dass wir unsere Wurzeln kennen. Andererseits hatte Durs da auch ein Wörtchen mitzureden. Am Telefon oder per E-Mail wollte ich nicht mit ihm diskutieren, Durs kann … konnte sehr stur sein. Also habe ich die nächste Gelegenheit genutzt, als ich vergangenen Herbst beruflich in Stuttgart war, um ihn zu besuchen. Es war nach … nun, nach zwanzig Jahren das erste Mal, dass wir uns wiedersahen, und es war … bewegend.« Sie verscheuchte das Gefühl wie eine Fliege. »Um es abzukürzen: Durs war dagegen. Und ich denke heute, er hat die Presse eingeladen, damit wir zwei so wenig Zeit wie möglich zum privaten Gespräch hatten, und natürlich, weil er immer jede Gelegenheit nutzte, für sich Werbung zu machen.« Marie seufzte und lächelte zugleich.
    Richard schlug die Beine übereinander und faltete die Hände.
    »Durs war ein im Grunde konservativer Mann. Viele Linke sind in ihrem Herzen eigentlich Bewahrer des Alten. Der humanitäre Gedanke des Einstehens für Benachteiligte und Ausgebeutete ist eben auch ein sehr alter. Durs hatte sich in seiner Legende eingerichtet, er hatte seinen Laden, seine Bücher, seine kleinen Gefechte mit der Politik, seine Anhänger, er lebte in seinem Universum, das hieß Gerberviertel. Sein Selbstverständnis als Mann war ebenfalls ziemlich traditionell. Er hatte seine Affären … immer. Das war letztlich der Grund, warum ich mit ihm keine Zukunft gesehen habe. Er hat mir zwar geschworen, ich sei seine große, seine einzige wahre Lie be. Aber gleichzeitig hatte er mit einem anderen Mädchen angebandelt. ›Ich werde doch jetzt auf meine alten Tage nicht anfangen‹, erklärte er mir, ›meine Seitensprünge zu legalisieren. Ich habe meine bürgerliche Pflicht getan, ich habe Ruben großgezogen, und er ist ein Nichtsnutz geworden. Da haben es die anderen ohne mich als Vater besser getroffen!‹«
    »Die andern?«, fragte ich überrascht. »Wie viele hat er denn noch?«
    »Noch einen weiteren Sohn, soviel ich weiß. Rubens Mutter hat ihn verlassen, weil er mit einer, ich glaube, Praktikantin was angefangen und ihr auch gleich ein Kind gemacht hatte.«
    Richard schnaufte kurz.
    »Das weiß ich auch nur, weil ich Durs nach meiner Rückkehr aus Amerika noch einmal besucht habe. Insgeheim hoffte ich damals, er wäre reifer geworden und er hätte durch meine Abwesenheit begriffen, was er verlieren würde. Aber, nun ja …« Sie lächelte schief. »Durs war immer noch derselbe, ein unruhiger Geist auf der Suche nach dem völlig neuen, noch nie gedachten Gedanken. Und bei einer Frau erwartete er nicht, ihn zu finden. Er liebte die Frauen als ewige, übrigens durchaus literarische Bestätigung einer männlichen Freiheit und Überlegenheit. Als Schriftstellerinnen mochte er sie nicht, wenngleich er gerade in diesem Punkt seine Vorurteile dann und wann über Bord werfen konnte, vor allem, wenn sie jung waren.«
    »Und dieser dritte Sohn?«
    Marie schaute mich an.
    »Sie wissen nicht zufällig, wie er heißt?«
    »Nein. Und ich wüsste auch nicht, was mich das anginge.«
    »Was werden Sie nun tun, Marie«, mischte sich Richard mit einem mir unbekannten aprikosenzarten Un ter ton ein, »nachdem Durs Ursprung nicht mehr lebt und keinen Einspruch mehr erheben kann?«
    Die Kulturstaatsministerin betrachtete ihre Hände und schaute dann wieder hoch. »Ich hoffe, es wird sich nach der Preisverleihung heute Abend eine Gelegenheit ergeben, mit meiner Enkelin Lola und meinem Sohn Michel ein paar private Worte zu wechseln. Darauf hoffe ich sehr. Das ist vielleicht nicht der beste Moment für solche Eröffnungen, aber der Moment ist im Grunde nie der richtige.« Sie blickte mich an. »Oder wissen die beiden es schon?«
    »Nicht von mir!« Ich hob die Hände. »Wird Lola denn den Preis bekommen?«
    Marie lachte. »Das werde ich weder Ihnen noch sonst jemandem im Voraus mitteilen.

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