Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
Atem ins Gesicht und verwickelt sie in Gespräche. Das ist die Dichotomie von Autor und Leser. Autoren schreiben, Leser lesen, eine Begegnung ist sinnlos.
    Das Publikum war damals von Studenten durchsetzt gewesen. Bei Ursprung saßen vermutlich dieselben Menschen, nur zwanzig Jahre älter geworden. Neue Leser wuchsen nicht mehr nach. Und in dreißig Jahren verschwanden sie auf einen Schlag wie die Bambuswälder in China. Dann starben auch die Pandas aus.
    Der einzige Mensch unter dreißig in Ursprungs Keller war ein Junge mit Hüfthosen, schwarzweiß kariertem Blouson, einer großen Postman-Tasche am Riemen quer über dem Leib und einer Windstoßfrisur. Die Haare rutschten ihm beständig in die Augen, weshalb er mit schrägem Kopf darunter hervorlinsen musste. Vermutlich war er ein Klassenkamerad Lolas und in Liebesdingen hier, nicht in Sachen Literatur.
    Zwei Minuten nach acht trat Durs neben den Tisch, an dem Lola Schrader mit inzwischen geöffnetem Haarvor hang saß und blicklos ins Publikum blickte wie eine gro ße Schriftstellerin.
    »Früher hat Durs nie mehr als ein Dutzend Worte ge sagt«, informierte mich Richard wispernd. »Guten Abend, ich habe Interesse …«
    »Guten Abend«, sagte der Buchhändler. Er redete üb rigens nicht, er stammelte: »Ich habe Interesse an Din gen, von denen ich annehme, dass sie neu sind. Und Sie haben es auch, wie ich sehe. Ich begrüße Lola Schrader. In Zei ten des Bloggens ist es keineswegs selbstverständlich, dass eine junge Autorin das Buch als Veröffentlichungsweg wählt. Sie hat es getan, und jetzt wollen wir sehen, ob es wohlgetan war. Lola Schrader.«
    »Ich sag’s gleich«, sagte sie mit nun überraschend leiser Stimme, »die Schülerwettbewerbe schöner Vorlesen habe ich immer verloren.« Sie lachte anfreundelnd.
    »Lauter!«, rief der Weißhaarige von hinten.
    Setz dich doch nach vorn!, dachte ich und langweilte mich jetzt schon.
    Lolas Problem war weniger ein Mangel an Stimme – sie setzte sie nur aus irgendeinem Grund nicht ein – oder ihre Lese-Rechtschreib-Schwäche, sondern der verfickte Text selbst, der sich im Mund einer Siebzehnjährigen querstellte. »Arkan und Bettie bürsteln im Elternbett. Petra krallt mir die Hose samt Slip vom Hintern. Ein Sin gle-Jersey-Ärmel mischte sich drunter, eine Socke. Kinderzimmersex. Sie stopft mir einen Ärmel in die Mö se! Arki platzt rein. Stör jetzt nicht, hau ab, kreischt sie. Knallt ihm ein Brett vor die Eier.«
    Richard wechselte unbehaglich den Beinüberschlag. Er gehörte zu den Männern, die von jungen Frauen erwarteten, dass sie nett aussahen und öffentlich vom Weltfrieden sprachen. Dasselbe erwartete er natürlich nicht privat und auch nicht in Büchern. Da durfte sie gern auch mal ein geiles Luder sein. Allerdings sprach man nicht darüber. Es musste ihn irritieren, dass eine Gymnasiastin aus gutem Haus Worte im Mund herumdrehte, die direkt auf seinen Affen zielten.
    Lola irritierte es auch, je länger, desto mehr verhaspel te sie sich. Das machte es für uns peinsam. Öffentlich in die Hosen der Zuhörer fassen will gelernt sein.
    Der Roman handelte – soweit ich das abschätzen konnte – von einem halben Dutzend zivilisationsgelangweilten Schülerinnen und Schülern, die in den Ferien von Stuttgart nach Barcelona trampen, in besetzten Häusern umsonst Sex haben, hinter Supermärkten Containern ge hen und jede Menge Drogen und Perversionen ausprobieren. »Guppi hält Nasebohren und Ohrengrubeln im Schulun terricht für Gruppensex.« Schließlich klauen sie vor einem Supermarkt in La Grande Motte ein dreizehnjähriges Mädchen.
    Ein Mann halb hinter mir ächzte. Es trug schwarze Hosen, schwarzes Hemd, schwarzen Gürtel, schwarze Schuhe und hatte schwarze Haare, in denen sich schon graue Fäden zeigten. An seinen Stuhlbeinen lehnte eine große schwarze Ledertasche. Ich schätzte ihn auf erfolglosen Lyriker und ambitionierten Blogger Mitte dreißig.
    Was hatte er erwartet? Richard und er kannten doch den Geheimcode, mit dem die alten Herren des Feuilletons sich die Tipps zusteckten. Sprachmacht und Stilmix bedeutete: Wichsvorlage! Ungefähr so, wie man bei Nacktfotos nicht Porno sagte, sondern Ästhetik. Und wenn sonst nichts dagegensprach, warum nicht auf das Zucken im Gemächt hören? Aber die Freundin mitnehmen. Die ist auch nicht ganz sauber. Und nachher auf einen Kaffee noch mit hoch. Lola Schrader würde ihren Weg machen, senkrecht nach oben. Das stand schon mal fest.
    Auch wenn der Anfang noch

Weitere Kostenlose Bücher