Malefizkrott
holperte.
Fragen wollten, als sie endete und Durs Ursprung mit unergründlichem Lächeln aufstand und uns zu Äußerungen aufforderte, nicht recht aufkommen. Wir mussten erst mal unsere virtuellen Hände aus den Hosen nehmen. Schließlich fragte die Frau des Weißhaarigen mit for scher Stimme voller Brüche: »Was bedeutet der Titel Ma lefizkrott ?«
Lola fabrizierte das Grübchenlächeln, auf das Richard eine Stunde lang gewartet hatte. Ich spürte, wie er ausatmete.
Lola auch, denn sie schaute ihn direkt an. »Tja, ich bin halt selber so eine Malefizkrott!«
Richard atmete wieder ein. Die Krott verstand zu flir ten wie eine österreichische Filmdiva.
»Malefiz … das Spiel, das kennen Sie? Ravensburger. Da konnte ich als Kind schon nicht genug von bekommen. Ich habe jedes Au-pair damit genervt. Das Spiel heißt übrigens so, das habe ich kürzlich gelesen, weil die Frau von dem, wo das Spiel erfunden hat, Maier hieß der, glaube ich, zu ihm gesagt hat ›Du bist ein Malefiz‹, als er alle ihre Figuren rausgeworfen hatte. Das ist Latein … aber fragen Sie mich nicht … In Latein habe ich null Peilung.«
Entzückend!
»Von maleficus «, besserwusste Richard prompt, »übel handelnd, gottlos.«
»Danke«, sagte Lola und schenkte Richard einen charmanten Blick. »Und Krott, das ist schwäbisch für Kröte. Sonst noch Fragen?«
Nein, keine. Doch! Der erfolglose Lyriker streckte die Hand. Die beiden Frauen, die bereits nach den Schirmen am Boden gegriffen hatten, richteten sich wieder auf.
»Ja, bitte«, sagte Durs Ursprung.
In der Stille, kurz bevor der Mann genug Luft geholt hatte, ertönte oben im Laden leise das Bimmeln der Türglocke. Ruben Ursprung, der neben dem Treppenaufgang saß, erhob sich und stieg knielahm hinauf.
»Was Sie uns vorgetragen haben, Frau Schrader …«, begann der schwarz gekleidete mutmaßliche Lyriker.
Lola verbiss sich ein Grinsen. Sie war es offenbar noch nicht gewöhnt, mit Frau Schrader angeredet zu werden.
»… klingt versiert, das ist gut geschrieben, Sie beherrschen die Grammatik …«
»Danke schon mal. Denn was jetzt kommt, wird schätzungsweise weniger erfreulich.«
Gelächter.
Der Mann holte noch mal tief Luft. »Was man nicht von allen Ergüssen sagen kann, die man von Jugendli chen vornehmlich im Internet findet …«
Du arroganter Leberkäs, dachte ich. Muss das sein? Das Mädel ist siebzehn!
»… und die ich übrigens auch von Ihnen schon im Hippenblog gelesen habe.«
Lola verzog peinlich berührt das Gesicht. »Jugendsünden!«
Richard schnaubte väterlich amüsiert.
Oben hörte man Ruben fluchen. Ein Bücherstapel flog um.
»Und so muss die Frage erlaubt sein«, der schwarze Lyriker schaute gegen die Decke, »wo Sie das alles herhaben, was Sie uns da verkaufen als Erlebnisse siebzehnjähriger Schüler …«
»Wie?« Lola sah aus, als hätte sie die Frage nicht verstanden.
»Sie beschreiben hier, wie …«, setzte der Schwarze neu an.
In diesem Moment ertönte oben ein Schrei. Die Türglocke bimmelte. Es rumpelte. Dann brüllte Ruben: »Feuer!« Es klang erstaunt. Dann panisch: »Feuer!«
Wir sprangen auf, Lola griff nach ihrem Wasserglas. Der Vater kämpfte sich durch Stühle nach vorn und pack te sie. Das Wasserglas fiel ihr aus der Hand. Durs sagte mit Panik in den Augen: »Ruhe bewahren!« Eine der beiden Frauen stolperte. Michel Schrader zerrte seine Tochter zur Treppe und schubste mich beiseite. Richard kümmerte sich um den Weißhaarigen und seine Frau, die am Stock ging.
Bücher stürzten uns auf der Treppe entgegen. Hitze prallte auf uns herab. Der erfolglose Lyriker rutschte auf einem Buch aus und schlug der Länge nach hin. Ich hörte einen Knochen krachen. Da brannte die Wand hinter der Kassentheke bereits lichterloh und ungesunder Rauch sammelte sich unter der Decke.
Richard kam zurück, rannte die Treppe hinunter, kam mit Durs Ursprung wieder herauf und zerrte ihn hinaus.
»Stehen Sie auf!«, sagte ich zu dem Mann am Boden.
»Ich kann das Bein nicht bewegen!«, stöhnte er.
Jemand kam mir zu Hilfe. Gemeinsam zogen wir den Lyriker hoch, wobei er brüllte vor Schmerzen, und schleppten ihn mit baumelndem Bein zur Tür.
Schon fielen die Flammen in die Bücherregale der Seitenwand ein, der Teppich qualmte zum Treppenabgang hinüber, die Holzplatte der Theke knallte und bog sich nach oben. Die gesamte zum Verkauf vorgesehene Lieferung Malefizkröten sprang in Sternschnuppen vom Tisch und verteilte Funken, noch röter und bissiger
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