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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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weiß gar nicht, was das ist. Der Buchhandel redet da nur nicht gern drüber. Man täte gern die Fiktion aufrechterhalten, das Buch sei die letzte Bastion geistiger Freiheit in einer kommerzialisierten Welt. Der Dichter schreibt ohne Berechnung und hungert, der Verleger entdeckt und publiziert leidenschaftlich, der Buchhändler stapelt und flüstert Tipps, der Leser kauft wissbegierig, der Kritiker lobt oder verreißt kenntnisreich, der Autor ist entweder genial, aber verkannt, oder plötzlich reich und gefeiert. Aber eigentlich ist alles ganz anders.«

 
     
10
     
    Ich musste zweimal hinschauen: Blicklos und mit leichter Schlagseite nach links überquerte ein weißhaariger Mann in beigefarbenem Hemd und Jeans den Schlossplatz Richtung Königsbau. Kein Zweifel, es war Durs Ursprung. Die Sonne schien. Am Morgen war plötzlich Sommer ausgebrochen. Die Stadt war voll. Durs blinzel te, als hätte er den Schlossplatz seit Jahrzehnten nicht mehr bei Tageslicht gesehen und noch nie den Glaswürfel des Museums, das StraßenCafé davor, das neue Pflaster. Er eilte wie gescheucht durch eine Stadt, die er nicht mehr kannte.
    Gegen irgendwas wurde gerade demonstriert auf dem Schlossplatz. Es standen weiße Zeltlinge herum. Durs steuerte hindurch, als habe er keine Zeit mehr für Politik, und bog unter die Säulen des Königsbaus ab. Der Kiosk an der Ecke verkaufte Bücher, Wimpel und Vuvuzelas. Durs Ursprungs Füße stockten einen Moment an der Schütte mit den antiquarischen Taschenbüchern, seinen Kopf aber hatte er kaum hingewandt. Zügig, wenn auch mit Schlagseite nach links ging er die Kolonnaden entlang. Den Konsum in den Schaufenstern, die Trichter zur Einkaufsgalerie nahm er nicht wahr. Keine Taschen, kei ne Kleider, keine Blumen, kein Eis. An den Treppen zur Bolzstraße hinab stockte er und schaute sich um, links und rechts. Nichts sah hier noch so aus wie vor dreißig Jahren. Allein in den letzten zehn Jahren hatten die Kaufhäuser ihre Inhalte und Namen dreimal ausgetauscht. Nur Magnus Villing Stahlwaren, Waffen war immer noch da. Auch ein Buchkaufhaus mit Namen Gemini hatte vorübergehend schon einmal dem Traditionshaus Wittwer mit Konkurrenz gewinkt. Doch es hatte sich selbst aus dem Rennen geworfen, als es schwarze Zahlen schrieb, denn es war nur ein Abschreibungsprojekt gewesen.
    Durs atmete tief ein und setzte seinen Weg fort. Ich folgte ihm.
    Walfisch hatte seine Türen weit offen. Kochbücher führten hinein. Alles so schön bunt hier. Tische hielten auf: Warum fallen Frauen immer wieder auf denselben Scheißkerl rein? Ein Höllenengel packt aus! Hilft Akupunktur beim Auto? Was damals gewesen ist, lässt Charles nicht mehr los. 50 und definitiv zu alt für faule Kompromisse …
    Durs schüttelte den Kopf. Sein Blick glitt weiter: Bis se zu jeder Tages- und Nachtzeit. Der Zauberlehrling und seine Narbe. Hätte es in meiner Kindheit schon Harry Potter gegeben, ich hätte mir erklären können, warum es mir bei meinen Eltern nicht gefiel. Weil ich unter Muggles lebte. Bevor Lord Voldemort Harry mit einer Narbe zeichnete, war ich gezeichnet worden. Mein Voldemort hatte Porsche am Birnbaum geheißen. Hätte ich damals die Zusammenhänge bereits erkannt, würde ich heute vermutlich als Magier oder Trickbetrüger umherziehen. Aber statt in Hogwarts war ich auf Lummerland gewesen und mit Emma nach China, das in den heutigen Ausgaben Mandala heißt, geschippert – für alle Kinder, die das nicht mehr wissen: Emma ist eine Lokomotive, die zum Schiff kalfatert wird. In China war ich dem Scheinriesen Tur Tur begegnet, der in der Ferne größer wird statt kleiner. Verdirb dir nicht die Augen, hatte mei ne Mutter gemurrt. Das einzige Buch, wofür sich das lohnte, war die Bibel.
    Durs schaute sich suchend um. Verkäuferinnen waren nicht gerade häufig, aber sie waren da. Eine stand bei Sudoku, Bachblüten und Heilsteinen.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie optimistisch.
    Ich konnte das Gesicht des Alten nicht sehen, nur ih res. Ich vermute, er lächelte, so wie er junge Frauen, die für ihn – wie für Richard – allesamt entzückend waren, anlächelte, mit der einen Hälfte seines Verstands unterhalb seines Gürtels und mit der noch immer ausreichend gro ßen anderen Hälfte in der Literatur stöbernd. »Ich habe was zu sinnen, ich habe, was mich beglückt; in allen meinen Sinnen bin ich von ihr entzückt.«
    Die Verkäuferin lächelte.
    »Wo gibt’s denn hier Socken?«, knarzte Durs.
    »Das ist ein

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