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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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einmal machen! Es ist ein Muss. Ich will zugrunde gehen mit der Idee, eine gute Buchhandlung zu haben – mit der Idee. Ich bin kein Denker, kein Dichter, ich will nur eine gute Bu…«
    Durs Ursprungs Augen rundeten sich plötzlich erstaunt.
    Sein Staunen übertrug sich auf mich. Irgendetwas hat te sich verändert, grundlegend. Der Alte fasste sich auf die Brusttasche seines Hemds und wankte. Kreislauf, dachte ich, die Erregung. Und schon fiel er wie ein Brett nach hinten um. Ich erwischte ihn gerade noch am Ärmel und konnte verhindern, dass er mit dem Hinterkopf auf den Boden schlug.
    Die Verkäuferin wich zurück. Eine ältere Dame schrie leise, eher reflexhaft.
    Ich rief: »Einen Notarzt, schnell!«, kniete mich nieder, klapste dem Alten auf die Backe. Sie war gipsweiß geworden. Der Hemdkragen stand ihm schon offen, graues Brusthaar lockte sich über den obersten Hemdknopf.
    Dann fiel mir das kleine Loch in seinem Hemd auf. Es war kaum Blut herausgetreten, und es kam auch keines mehr.

 
     
11
     
    Die Beine der Umstehenden und Büchertische verstellten mir den Blick auf den Ausgang zur Königstraße. »Rufen Sie die Polizei!«, rief ich im Aufspringen. Ich rempelte mich zwischen der Verkäuferin und dem Ringelshirt hindurch, rammte mir die Ecke eines Büchertischs in den Oberschenkel und sprintete hinaus auf die Königstraße.
    An dem sommerträgen Nachmittag zogen Mädchen in Dreier- bis Viererformationen an den Schaufenstern entlang, Bürohengste leisteten sich eine Eistüte und wunderten sich über das Freizeitleben, alte Damen in weißen Hosen mit Söckchen in Sandalen schlenderten mit sperrigen Tüten hinauf und hinunter, eine Frau schloss ihr Fahrrad an einem Laternenmast an – schlank, Turnschuhe, Jeans, blauer hüftkurzer Blazer, kurze Haare, hellwacher Blick, ewig schade, dass ich keine Zeit zum Flirten hatte –, zwei Kinder jagten sich um einen Brezel-Kiosk herum. Nichts und niemand störte den ruhigen Fluss der Einkaufsbummelei, nirgends löste ein Flüchtender Wirbel aus, geschweige denn, dass er selbst durch seine Hast meine Aufmerksamkeit erregt hätte.
    »Haben Sie was gesehen?«, fragte ich die Dicke hinter ihrem Brezelkorb. »Bei Walfisch ist einer erschossen worden.«
    »Was?«
    Alle, die anstanden oder auch nur vorbeigingen, dreh ten sich um zu den offenen Türen, in denen sich die Leute schon stauten wie Ameisen an einer Zuckerschale.
    »Schnell! Haben Sie was gesehen? Einen, der fortgelaufen ist.«
    Die Dicke schüttelte den Kopf. »Erschossen?«
    Wir hatten den Schuss nicht gehört. Der Schütze musste einen Schalldämpfer benutzt haben. War er so gut, oder hatte er mit Glück Durs’ Herz getroffen? Er musste mit einer Pistole geschossen haben. Denn dass einer mitten auf der Königstraße ein Gewehr anlegte, konnte ich mir nicht vorstellen. Für einen Gewehrschuss von der gegenüberliegenden Ladenzeile – beispielsweise unter einem Kleiderständer hervor – stand in der Fußgängerzone zu viel Möblierung herum, der Brezelkiosk, die Laternen, Bäume mit Stahlpollern. Zudem hatte sich Durs ziemlich tief im Laden befunden. Demnach war es auch ausgeschlossen, dass er aus einem oberen Stockwerk des Kaufhauses auf der gegenüberliegenden Seite erschossen worden war.
    Ein paar Meter weiter drüben befand sich der Stahlwarenladen Magnus Villing, vor dem zwei Männer standen und sehnsüchtig Messer, Schlagringe und Handfeuerwaf fen anschauten, die allesamt verboten waren.
    »Haben Sie was gesehen? Einen Mann mit Waffe, da drüben.«
    Sie schauten mich entgeistert an. Vielleicht konnten sie kein Deutsch.
    Ich stolperte sogar in den Laden hinein. Es schien eine Treppe hinunterzugehen, die ich übersehen hatte. Hinter der Theke stand ein junger Mann in grauem Bankangestelltenanzug und erschrak. Seine Hand zuckte unter die Theke. Dass hier jemand atemlos und mit Alarm in den Augen hereinplatzte, kam vermutlich niemals vor.
    »Hat hier eben jemand eine Handfeuerwaffe gekauft?«, fragte ich. »Mit Schalldämpfer.«
    »Nein«, antwortete der Verkäufer starr.
    »Bei Walfisch ist einer erschossen worden«, erklärte ich und stürzte wieder raus.
    Hätte ich mich doch nur einmal umgedreht, als ich dem alten Durs Ursprung über den Schlossplatz, durch den Königsbau, über die Bolzstraße und die halbe untere Königstraße hinunter folgte, dann hätte ich den Mann, der später auf ihn schießen würde, vielleicht gesehen! Wenn auch nur als einen unter vielen, die ihre Wege mehr oder minder planlos

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