Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
wie jeder Moment: seine große, geduldige Hand um ihre Hand, die Stimme an ihrem Ohr, die sagte: Ja, so … so mußt du es machen … sehr gut, jetzt noch ein kleiner Querstrich … Und sie sah gleichzeitig sein stolzes Lächeln, dicht über ihrem gesenkten Kopf, das ihr sagte, er werde alles, was sie nur wolle, für sie tun, dieserMoment sei erst der Beginn eines ganzen Lebens, das er für sie mit Wärme, weichen Laken, weichen Kleidern, gutem Wein, gutem Brot, mit Kindern füllen werde und vor allem mit seinem rasenden, in bestimmten Momenten fast nicht auszuhaltenden Hunger und Durst nach ihrem schönen, weichen Körper, einem Hunger und Durst, die nie, noch nicht einmal in der Ewigkeit, zu stillen und zu löschen sein würden.
Der Schlüssel knirschte im Schloß, die drei Riegel wurden zurückgeschoben.
Sie waren jetzt auf dem IJ. Sofort traf sie der mäßige Wind von Westen, der heute wehte. Der Knecht auf dem Vordeck stieg herunter und zog das Segel hoch. Die Backbordseite des kleinen Schiffs mit seinen geklinkerten Planken, Hautschichten gleich, hob sich folgsam ein ganzes Stück aus dem Wasser. Die Bahre verschob sich kaum auf dem schrägen Boden, Elsje blieb liegen, wie sie lag, nur ihr Rock wehte ein wenig hoch und bedeckte jetzt eine ihrer kleinen kalten Hände, noch kälter als gestern.
Beim Betreten des Raums hatte sie die Augen aufgerissen. Zitternd war sie zum Kamin gegangen, als hätte sie dieses Feuer noch nie, auch nicht am Vortag, als sie zum drittenmal verhört wurde, gesehen.
»Geh ganz nah ran«, hatte der Gefängniswärter gesagt und, als sie es tat und die Hände ausstreckte: »Magst du einen Becher Wein? Was willst du essen?«
Blicke des gegenseitigen Einvernehmens.
Danach war es der Sohn gewesen, der ihr den Teller weiße Bohnen mit gehacktem Hammelfleisch brachte, diesmal ordentlich auf einem Tablett. Mit dem Fuß die Tür der Folterkammerhinter sich zutretend, lachte er sie zögernd an. Sie saß auf einem niedrigen Stuhl, einer Art Altweiberstuhl, vor den Flammen. Als verstünde er sie ganz und gar, griff er zuerst nach dem großen, randvollen Becher mit bernsteingelbem Wein, schob ihn ihr in die Hand und stellte erst dann das Tablett auf den Holzklotz mit den von den Brandeisen versengten Stellen. Sie nahm tatsächlich sofort ein paar große Schlucke.
Nach einem kurzen Gespräch war der Junge aufgestanden, um die Würfel und Bickelknöchelchen zu holen.
»Darf ich auch wissen, wie du heißt?« hatte Elsje ihn gefragt, als er nach einigen Minuten zurückkam.
»Simon.«
Während sie gemeinsam den Teller leerten, spielten sie. Manchmal gewann der Junge, manchmal sie. Was machte es schon für einen Unterschied. Trotzdem spielten sie ernsthaft. Die Zeit verstrich und mußte ihren Instinkt unterdrücken, bekam fast keine Gelegenheit, zurückzuspringen oder, nicht einmal das, vorauszueilen zu morgen.
Gegen zehn war Simon von seinem Vater gerufen worden, Bettzeit, außerdem war der Pfarrer eingetroffen. Dem schläfrigen Wärterssohn war es recht gewesen. Er und Elsje hatten da schon eine Weile wortlos im Halbdunkel vor sich hin gedöst. In einem hohen symmetrischen Saal, geschlossen wie eine bei Nacht gestrandete Arche, schließt auch der Geist sich. Der Pfarrer fand ein Mädchen vor, das sich keine große Mühe gab, ihn anzuhören, seine Worte zu übersetzen oder ihm wenigstens ins Gesicht zu blicken. Auch er war jung. Auch dieser Geistliche gehörte zu den, gemessen an ihrem bescheidenen Mädchenleben, gar nicht so wenigen jungen Männern, die auf sie eingeredet hatten. Dieser standkerzengerade vor dem Feuer, schritt dann wieder an den Foltergeräten entlang oder hockte vor dem verstörten Kind, das nickte, lächelte und unsicher wegschaute, die runden Wangen nach oben gerichtet.
Kurz bevor es halb zwölf schlug, gab er auf. Er streckte sich, schluckte ein Gähnen hinunter.
Auch er war müde geworden.
Nachts werden die sechzehn Tore der Stadt geschlossen. Eine Kompanie Berufssoldaten geht, in Patrouillen aufgeteilt, als Nachtwache durch die Straßen, angeführt vom Hauptmann, dem Leutnant oder einem der Sergeanten. Es ist ein Gotteswunder, daß die Musikantengruppe, die in jener Nacht auf dem Nieuwezijds Voorburgwal zu lärmen begann, wohlgemerkt direkt hinter dem Rathaus, nicht festgenommen wurde. Es waren drei, und sie hatten außer ihren kalten, lauten Stimmen einen tragbaren Leierkasten und zwei levantinische Oboen bei sich. Auch ihr Lied war eigentlich aus der Levante
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