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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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bevor Jordi sich fragen konnte, was das Wesen damit bezweckte, erblickte er zwei Fledermäuse, die ihre Kreise in der Dunkelheit drehten auf der Jagd nach Insekten. Die Tintenkleckse trafen die Fledermäuse und sofort flossen den Tierchen dichte Schatten über das Fell und die Flughäute. Sie kreischten auf und in diesem Ton hallte der ganze Schmerz, den sie empfanden, durch die Nacht. Dann schossen sie pfeilschnell vorwärts.
    »Auch das noch!« Im aufbrausenden Wind war die Stimme des Mädchens kaum noch zu verstehen.
    Jordi warf einen panischen Blick nach hinten. Die Fledermäuse waren nun keine Fledermäuse mehr. Etwas anderes waren sie geworden, im Bruchteil von Sekunden. Nicht Schatten, nicht Tier, nein, etwas dazwischen. Etwas, das bösartig war und die Zähne fletschte und Schlimmeres tun würde, als nur zuzubeißen.
    Das Mädchen gab ein Geräusch von sich. Es ähnelte dem Heulen des Sturms, wenn er in einer Gewitternacht um den Leuchtturm strich.
    Sie spricht mit dem Wind, erinnerte sich Jordi. Und tatsächlich: Er spürte einen Luftzug im Rücken und der Flickenfetzen schoss in atemberaubender Geschwindigkeit vorwärts.
    Die Welt drehte sich um ihre eigene Achse und Jordi mit ihr. Er spürte, wie er hilflos mal hierhin, mal dorthin rutschte, doch jedes Mal, wenn er zu weit an den Rand des Flickenfetzens rutschte, hob der Wind den Stoff an und bewahrte ihn vor dem Absturz. Schließlich fühlte sich der Junge so sicher, dass er einen Blick zurückwerfen konnte.
    Sie waren immer noch da.
    Die Fledermausschatten folgten ihnen mit flinken, hungrigen Flügelschlägen. Durch ganz Barcelona würden sie ihnen folgen, das spürte Jordi. So lange, bis sie ihre Beute erlegt hätten.

Karfax
    »Sarita Soleado.«
    Karim Karfax stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen an einem der hohen Fenster im Salon der Casa de l’Ardiaca und betrachtete die singende Stadt.
    Er lächelte still und jeder, der ihn lächeln sah, erschauderte bei diesem Anblick.
    Die Gestalt mit der hakennasigen Maske des Harlekin, die soeben den Raum betreten hatte, stand ruhig da. Sie war der einzige Eistreter, der noch in der Casa geblieben war. Die anderen waren überall unterwegs, auf der Jagd. Irgendwo in den Straßen von Barcelona brachten sie die Suche zu einem Ende, die nun schon so lange andauerte.
    Karim Karfax beobachtete die Menschen, die unten auf dem kleinen Platz vor der Casa de l’Ardiaca ihren Geschäften nachgingen. Bunte Laternen hingen an den Ständen und Gecken und Musikanten boten ihre Kunststücke dar.
    Ein Schmetterling kam durch das geöffnete Fenster geflogen. Rotgelbbraun, orange, zwei Spritzer Lila. Flügel, die schnell auf- und zuklappten und das kleine Tierchen elegant durch den Raum schweben ließen. Ein wunderbares Wesen des Lichts.
    Karim Karfax ballte die Hand zur Faust und streckte einladend den Zeigefinger aus.
    Der Schmetterling zog seine Runde und ließ sich dann, wenn auch ein wenig zögerlich, auf dem Finger nieder. Lange Fühler hatte das Tierchen und Augen, die nicht wirklich gut sehen konnten im trüben Licht der Dämmerung, die schon fast Nacht war.
    Karim Karfax flüsterte etwas, das wie ein eisig kalter Hauch war.
    Die dürren Beinchen des Schmetterlings begannen zu zappeln, als er sich von dem Finger zu lösen versuchte. Etwas war nicht richtig, sagte ihm sein Instinkt. Doch da war es bereits zu spät für ihn. In Windeseile verdorrten die Farben auf den Flügeln zu einem Nachtschwarz, das so durchdringend war wie ein böser Traum.
    Karim Karfax schloss die Augen und atmete ganz tief und fest die Dunkelheit, die ihn umarmte. Eine Sonnenbrille aus pechschwarzem Spiegelschein trug er, der matt und grünlich schimmerte, wenn das Licht sich darin zu brechen versuchte.
    Er spürte das Unwohlsein, das die meisten Menschen befiel, hielt er sich in ihrer Nähe auf. Er konnte förmlich sehen, wie sie sich wanden und ihnen fröstelte. Dem Schmetterling war es genauso ergangen. Die kleinen Fühler waren zu frostig toter Finsternis erstarrt.
    Karim Karfax wusste, warum die Menschen ihn mieden. Der kleine Schmetterling hätte es genauso tun sollen.
    Er betrachtete das Tierchen.
    Sagte man nicht, dass die Augen ein Spiegel der Seele sind? Er musste schmunzeln.
    Sein rechtes Auge war so tiefstpechschwarz, wie es sonst nur die Augen in einer Kohlezeichnung waren – und sollte ihm jemand in das Auge sehen, dann würde diesem überaus armen Tropf die Gewissheit zuteil werden, dass etwas dort lebte, das eisig kalt

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