Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
reglosen Körper herum wie abgerissene Falterflügel. Die Verwandlung hatte eingesetzt und er war wieder mehr Mensch als Rabe oder Kater.
»Ramon!« Sie hob seinen Kopf an, strich ihm durchs Haar.
Die Rabenaugen öffneten sich. »Mir ist kalt«, sagte er.
»Was hast du?«
»Ich spüre nichts mehr.«
Sie sah ihn fragend an.
»Da ist nichts mehr«, krächzte er. »Kein einziges Gefühl. Nur Leere.«
»Wir müssen von hier verschwinden.«
Er drehte den Kopf ein wenig zur Seite und selbst diese Bewegung kostete ihn Mühe. »Das ist Nuria gewesen«, flüsterte er. »Sie muss noch am Leben sein.«
Tränen traten in die Augen des Mädchens. »Du musst mit mir kommen.«
»Nuria musste einen Preis zahlen für das, was sie getan hat.«
Catalinas Stimme war nur ein ersticktes Krächzen. »Nein, bitte nicht.«
»Sie hat mich geliebt, weißt du? Wie einen Sohn.«
Catalina schüttelte den Kopf. »Ramon!«
Er sah sie nur an. »Malfuria wird dich zu ihr bringen.« Er hustete laut. »Nuria war sich nicht sicher, aber ich bin es jetzt.« Das Sprechen fiel ihm schwer. »Karim Karfax. Es ist… nun… du denkst, er ist der Bösewicht in der Geschichte? Du hast ganz recht. Seine Aufgabe war es, Sarita zu jagen. Er sollte eine Verfolgte aus ihr machen, das Opfer. Nicht mehr, nicht weniger. Es sollte so aussehen, als ob sie in Gefahr wäre.«
Die Erkenntnis traf Catalina völlig unvorbereitet. Konnte es wirklich so gewesen sein? »Aber wenn beide, Karfax und Sarita, mit den Schatten im Bunde stehen, dann ergibt das nur einen Sinn, wenn…« Sie stockte, überlegte. »Es geht gar nicht um die Schatten, zumindest nicht nur.«
Ramon nickte. »Karfax wurde benutzt.«
»Es geht um Malfuria!«
Die ganze Zeit über ging es darum!
Malfuria. Der Sturm aus Rabenfedern.
»Das gesamte Wissen der Hexen befindet sich dort.« Warum hatte sie niemals zuvor daran gedacht?
»Nicht jeder darf Malfuria betreten«, krächzte Ramon. »Nicht jeder ist dort willkommen.«
»Aber Malfuria würde Sarita willkommen heißen, wenn sie in Gefahr wäre«, sagte Catalina. »Wenn sie von den Schatten verfolgt würde.«
Das war von Anfang an Saritas Plan gewesen. Denn sobald Malfuria sie aufgenommen hätte, wäre sie in der Lage gewesen, sich dort das Wissen der Hexen aneignen zu können.
Ramon hustete. Die pechschwarzen Augen wurden ganz matt.
»Du wirst Jordi wiedersehen«, sagte Ramon. Er versuchte zu lächeln. »Das verspreche ich dir.«
Schritte erklangen hinter Catalina.
»Lass ihn verrecken«, sagte Sarita Soleado zu ihrer Tochter.
Catalina drehte sich zu ihrer Mutter um. »Du hast das von Anfang an geplant. Alles.«
Sarita zwinkerte ihr zu. »Ja, das ist der Plan gewesen, mein Kind. Karfax ist ein Nichts. Ein Teilchen. Ein Fleck, der verschwindet. Das ist alles. Es musste einfach nur so aussehen, als ob ich in Gefahr wäre.« Ihre Lippen verzogen sich zu einer Grimasse. »Denn nur so wird mir Zuflucht in Malfuria gewährt.«
Catalina schwindelte.
»Du bist eine Lügnerin«, sagte sie nur.
Sarita Soleado lachte schallend.
Ein ohrenbetäubendes Krachen wirbelte neuen Staub auf.
»Die Meduza stürzt ab«, sagte Sarita. »Und Karfax mit ihr. Er hat seine Pflicht erfüllt.«
Ramon bäumte sich ein letztes Mal auf, dann sackte der Körper leblos in sich zusammen.
»Du wirst ihm bald Gesellschaft leisten.«
Die Tränen rannen Catalina übers Gesicht. Ihre kurzen Zöpfe, die Jordi so gemocht hatte, hingen ihr ins Gesicht. Einzelne Strähnen hatten sich gelöst.
»Wir hätten beide gemeinsam nach Malfuria gehen können. Doch nun werde ich wohl allein dorthin reisen.« Sarita machte einen Schritt auf Catalina zu und dann wurde die Welt, die bunt und schön gewesen war, ein letztes Mal von tosendem Sturm heimgesucht.
Es ging schnell.
Die Meduza stürzte in die Ruinen der Kathedrale hinein. Holz zerbarst auf hartem Stein. Die Masten brachen und eine Explosion zerfetzte die kreischenden Gebläsemaschinen. Schreie hallten durch den staubigen Nebel und dann kamen die Rabenfedern.
Schwarz und mit spitzen Kielen sausten sie durch die Luft, sprangen Sarita Soleado an und rissen sie fort von ihrer Tochter, hinein in den Nebel aus Staub und Dreck und Schreien.
Catalina duckte sich und ihr Kopf lag dicht neben dem des Rabenkaters, der nie mehr krächzen würde, nie, nie mehr. Sie weinte, schluchzte sich die Seele aus dem Leib, weil sie nichts anderes mehr tun konnte. Die Welt um sie herum stürzte ein, und das war alles, was sie wusste.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher