Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
und unberechenbar war und ihn zu einem mächtigen Mann gemacht hatte.
Ja, er war der Arxiduc.
Seine Finger streichelten ein penibel gestutztes Kinnbärtchen. Die schwarzen Haare waren zu einem Zopf gebunden. Karim Karfax war in einen Ledermantel gehüllt, der bis kurz über den Boden reichte und selbst wie ein wehender Schatten aussah. Niemals legte er diesen Mantel ab. Er fror immerzu, denn sein Herz war so kalt wie die Herbstschatten in fernen Ländern.
Er dachte an das Mädchen.
Die Mutter hatte er gesucht, denn das war es, was man ihm aufgetragen hatte. Doch die Tochter hatte er gefunden.
Catalina, Sarita Soleados Tochter.
Ihre Mutter hatte gut daran getan, sie zu verstecken. In der Cala Silencio waren sie all die Jahre untergekrochen und hatten das Leben von Fischersleuten geführt.
Seit einer Ewigkeit schon suchte die Meduza fieberhaft die entlegensten Winkel der alten Welt nach den Frauen ab, die jene Dinge aus alter Zeit zu tun vermochten, die längst in Vergessenheit geraten waren.
Es war reiner Zufall gewesen, als die Späher Kunde von den Veränderungen auf der Insel Eivissa gebracht hatten.
In den kurzen Stunden einer einzigen Nacht war die Küstenlinie von Port Xaracca bis hinunter nach Port San Miguel eine andere geworden. Dort, wo vorher Steilklippen gewesen waren, glänzten nun lange Strände im Sonnenschein. Die kleinen Buchten waren verschwunden und statt ihrer fand man nur mehr felsige Riffe vor. Die Städte Xaracca und San Miguel waren größtenteils im Meer versunken. Die Menschen hatten sich in der ersten Not in die höher gelegenen Stockwerke und auf die Dächer geflüchtet.
Die Meduza war nach Eivissa geflogen. Nur eine einzige von ihnen, so lautete sein Auftrag, müsste er in seine Gewalt bringen.
Die erste hatte er auf der Insel aufgespürt.
Nuria Niebla.
Karim Karfax ließ den Namen auf der Zunge zergehen wie einen schlechten Geschmack. Er ballte die Hände zu Fäusten. Die Alte hätte sich niemals selbst verbrennen dürfen. Doch wer hätte schon ahnen können, dass sie sich freiwillig den lodernden Flammen überantworten würde?
Zu allem Übel war es ihr auch noch gelungen, einen Raben loszuschicken.
Doch er war der Spur des Raben gefolgt und sie hatte ihn nach Barcelona geführt, mitten hinein in die singende Stadt.
Karim Karfax schloss die Augen. Er wusste, dass die Eistreter mit ihren Masken noch nicht ganz bei Kräften waren. Sie mussten sich der einfachen Menschen bedienen, um in den Straßen nach der Mutter und ihrer Tochter zu suchen. Vor einer Stunde jedoch waren sie auf eine Fährte gestoßen, die hinüber nach Dalt Vila in Montjuic führte. Zu einer Windmühle, in der ein Kartenmacher namens Arcadio Màrquez lebte.
Die Eistreter waren in diesem Moment schon dort.
Er lächelte sein boshaftes Lächeln. »Flieg für mich in die Nacht«, flüsterte er dem Schmetterling zu.
Das Tierchen, dessen zarte Flügel jetzt tiefste Finsternis waren, bewegte die Fühler. Es erhob sich in die Lüfte, kreiste einmal um den Arxiduc und flatterte dann zum Fenster hinaus.
»Flieg, kleiner Schatten, flieg.«
Karim Karfax war ganz nah am Ziel.
Das Schicksal der Kleinen war besiegelt. Und all das, was jetzt nur Schatten war, würde bald schon zu atmen beginnen.
Die Jagd
Der Flickenfetzen brachte sie hinüber nach Pla Cerdà und immer noch waren die Fledermausschatten hinter ihnen her.
»Tu etwas!«, schrie Catalina in den Wind.
Bereits zweimal waren die Fledermauskreaturen aus Fleisch und Finsternis ganz nah gewesen – und nur durch ein überraschendes Manöver des Windes waren sie ihnen entkommen. Die Wesen hatten sich als geschickte Flugkünstler erwiesen, daran bestand kein Zweifel. Sie ließen sich nur einmal hinters Licht führen und machten den gleichen Fehler kein zweites Mal.
»Sie werden uns kriegen«, flüsterte Catalina besorgt.
Jordi schwieg.
Das schachbrettartige Muster von Kanälen und Wasserwegen glitt unter ihnen im Abendrot dahin.
Kleine Boote und Dampfkaravellen fuhren ihres Weges, brachten ihre Passagiere zu den duftenden Märkten von Tetuan und den riesigen Kaufhäusern aus Kristall in Gràcia oder einfach nur zu den vielen Gaststätten und Tavernen, die mit ihren bunten Markisen und runden Stühlen die schmalen Uferwege säumten. Die Menschen saßen dort, tranken und rauchten und ahnten nichts davon, was sich hoch über ihren Köpfen abspielte.
Nur diese kleinen, engen Fußwege gab es auf beiden Seiten der ruhigen Wasserwege. Hauptverkehrsadern in
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