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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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die sie zögerlich ergriff.
    Der Wind wehte durch die Gasse, trieb die Sandkörner vor sich her. Jordi sah das Mädchen einen Moment lang nur an.
    Sie war schön, unter all dem Schmutz. In ihren grünen Augen lag Furcht, aber noch etwas anderes, was Jordi nicht deuten konnte. Etwas Geheimnisvolles.
    Wundert dich das etwa? Schließlich ist sie eben vom Himmel gefallen.
    »Geh da runter!«, forderte sie ihn auf.
    Jordi bemerkte, dass er noch immer auf dem Flickenfetzen stand.
    »Was…?«
    Sie stupste ihn an. Sachte, aber energisch genug, dass er einen Schritt zur Seite trat.
    »Höchste Zeit, hier wegzukommen«, sagte sie bei sich und sah hastig zum Dach hinauf, wo sich die Windmühle befand. Jordi folgte ihrem Blick und erschrak.
    Sie waren zu siebt oder zu acht.
    Ganz normale Menschen, die ihre Köpfe reckten und in die Tiefe starrten. Doch sie waren nicht etwa neugierig auf das, was auf der Gasse unter ihnen passierte. Jede menschliche Regung schien aus ihren Gesichtern gelöscht zu sein. In ihren Augen stand die Dunkelheit.
    Eine von ihnen war eine einfache Bauersfrau. Noch heute Nachmittag hatte sie ihrem Kunden Trauben verkauft.
    Jordi gab einen erstickten Laut von sich.
    Das Mädchen hatte den Kopf gedreht und stieß eine Reihe von seltsamen Lauten aus. Es hörte sich zuerst wie leises Pfeifen an, das dann zu einer Art Heulen anschwoll, hektisch und aufgeregt.
    Sofort fuhr der Wind unter den Flickenfetzen und das schmutzige Ding, das aus Hunderten von Stoffstücken bestand, die alle überhaupt nicht zueinanderpassten, schwebte mit einem Mal dicht über dem Boden. Herrje, das Ding tat es tatsächlich, es schwebte.
    Das Mädchen sprang auf den Flickenfetzen und kniete sich darauf nieder. »An deiner Stelle würde ich auch schleunigst von hier verschwinden«, sagte sie.
    Jordi starrte noch immer aufs Dach. »Sie sind einem Harlekin begegnet«, brach es aus ihm heraus.
    Sie hatte gerade wieder dieses leise Pfeifen von sich gegeben, aber als sie Jordis Worte hörte, wurde sie mit einem Mal ganz bleich.
    »Du weißt von dem Harlekin?«, fragte sie und in ihrem Blick lauerte plötzlich der Argwohn.
    Jordi zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur von dem fliegenden Schiff, das unten am Hafen angelegt hat. Die Maskierten sind in der ganzen Stadt unterwegs.«
    Das Mädchen musterte ihn mit großen Augen, als ob sie sich nicht ganz sicher sein konnte, ob ihm zu trauen war.
    »Jordi, nicht wahr?«, fragte sie plötzlich mit ihrer klingenden Stimme. »Jordi Marí?«
    Er nickte.
    »Komm mit!«
    Jordi verharrte unschlüssig. Er schaute auf den Flickenfetzen, dann irrte sein Blick zu den Schattenaugenmenschen, die sich in Bewegung gesetzt hatten und der Treppe zustrebten, die hinunter in die Gasse führt.
    »Beeil dich! Oder willst du mit denen Bekanntschaft machen?«, fragte Catalina.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Dann komm endlich. Wir haben keine Zeit mehr.«
    »Was waren das für Geräusche, die du eben gemacht hast?«
    »Tut das etwas zur Sache?« Sie sagte es, als ob es tatsächlich nicht von Belang wäre. »Wenn du es genau wissen willst, ich habe mit dem Wind gesprochen, das ist alles.«
    Hatte sie das wirklich gesagt? Hatte sie allen Ernstes behauptet, mit dem Wind gesprochen zu haben?
    Dies, dachte Jordi benommen, ist ein außergewöhnlicher Tag. Er hatte den Leuchtturm verlassen, war durch Barcelona geirrt, war von einem Flickenfetzen zu Boden geworfen worden und hatte dann auch noch ein Mädchen darin entdeckt. Ein Mädchen, hinter dem die Schatten her waren und mit dem zu flüchten er gerade im Begriff war.
    In dem Moment erschien ein Harlekin oben auf dem Dach. Die Schattenaugenmenschen verharrten mitten in der Bewegung. Das Mädchen wurde noch eine Spur blasser.
    Jordi zögerte nicht länger. Er sprang auf den Flickenfetzen.
    »Wohin fliegen wir?« Er war sich bewusst, dass die Frage klang, als sei sie einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht entsprungen. Er kniete auf einem fliegenden Flickenfetzen, unglaublich!
    »Einfach nur fort.«
    Sie pfiff etwas Unverständliches.
    Dann spürte Jordi, wie sich der Flickenfetzen in die Lüfte erhob und vom Wind davongetragen wurde. Bestürzt krallte er sich mit beiden Händen in den alten Stoff.
    Fast gleichzeitig tat der Harlekin etwas, womit keiner von ihnen gerechnet hätte. Er fasste sich an die Maske, die sein Gesicht war, und aus der Dunkelheit, die dahinterlag, schossen zwei finstere Punkte in den Nachthimmel hinein. Wie Tintenkleckse, so sahen die Punkte aus. Und

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