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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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hier bin«, sagte El Cuento.
    Catalina wunderte sich nur.
    Was, in aller Welt, meinte er denn damit schon wieder?
    Über die Freude, dass der Wind überhaupt gekommen war, vergaß sie die Frage aber sofort.
    Schnell ging es in den senkrechten Sinkflug, die Welt kippte auf einmal in die Horizontale und Catalina raste auf dem staubigen Flickenfetzen über die Köpfe der Schattenaugenmenschen hinweg. Das Dach und der Kräutergarten und die Palmen und die Windmühle zogen unter ihr vorbei, als der Flickenfetzen ins Straßenlabyrinth von Dalt Vila abtauchte.
    »Sei bitte vorsichtig«, bat sie den Wind.
    El Cuento lachte nur. »Du bist gerettet, würde ich sagen.«
    »Danke.«
    Ich werde mir alle Knochen brechen, dachte Catalina grimmig und hielt sich fest, so gut es nur ging.
    »Da schau!«, hörte sie den Wind wispern.
    Sie wusste, wie gern er die Wäsche durcheinanderbrachte, die an den Leinen hing. Ganze Nachmittage konnte er mit diesem Spiel verbringen. Leise schlich er sich an, blies wieselflink durch die Gassen und ergötzte sich am Anblick der Wäsche, die in einem bunten Regen aus Leinen und Wolle zu Boden schwebte.
    Nein, nein, nein – bitte nicht jetzt!, das war es, was Catalina dachte.
    Leider kannte sie den Wind nur allzu gut. El Cuento konnte es sich selbst in diesem Moment nicht verkneifen, die Wäsche, die unten in der Carrer de Roman Pinol von einer Häuserfront zur nächsten aufgespannt war, zu berühren, an den Leinen zu zerren und einen Wirbel aus Durcheinander zu hinterlassen.
    Dummerweise verfing sich der Flickenfetzen kurz an einer der Wäscheleinen.
    El Cuento sagte: »Hoppla!«
    Taumelte.
    Der fliegende Fetzen beschrieb einige seltsame Pirouetten, drehte sich im Kreis und auf den Kopf, sodass Catalina für einen Moment völlig darin eingewickelt war. Dann konnte sie wieder nach Luft schnappen und sah die Gasse rasend schnell auf sich zukommen.
    »El Cuento«, flehte sie.
    »Hab alles im Griff«, antwortete der wild gewordene, übermütige Wind und wehte mitsamt der Flickenfetzen in schrägem Winkel abwärts. El Cuento war in seinem Element.
    Catalina, die mittlerweile jegliche Orientierung verloren hatte, glaubte einen hochgewachsenen Jungen mit zerwuseltem braunem Haar zu erkennen, der sie ganz erstaunt und erschrocken anstarrte. Der Flickenfetzen raste auf den Jungen zu, El Cuento jaulte »Juhuu!« – und Catalina, die nichts anderes tun konnte, als in banger Erwartung der Landung die Augen zu schließen, hörte noch den Aufschrei des Jungen, der nicht die geringste Ahnung hatte, was da auf ihn zukam.

Fledermausschatten
    Als sich der Staub gelegt hatte, blickte Jordi in das hübsche Gesicht eines jungen Mädchens. Zerzauste Zöpfe umrahmten ihr schmales Gesicht und über ihre rechte Wange zog sich eine schwarze Spur von Schmutz und getrockneten Tränen.
    »Wir müssen hier weg, auf der Stelle!«
    Direkt aus dem Nachthimmel war sie gefallen. Mitten in ihn hineingewirbelt, sozusagen.
    Jordi befreite sich hustend aus dem Flickenfetzen, der über ihm lag.
    »Wie bitte?«, fragte er noch ganz benommen. »Wer bist du?«
    »Catalina.« Ihre Stimme klang ein bisschen nach dem hellen Geräusch, das die Eidechsenplättchen machten, wenn sie gegeneinanderrieben.
    Sie starrten einander an, kurz nur.
    »Wo kommst du her?«
    Wortlos deutete sie zur Windmühle.
    »Aha«, sagte Jordi nur. Und: »Das habe ich gesehen.«
    Er rieb sich über die Augen. Konnte das wahr sein? Das konnte nicht wirklich ihm passieren, oder? Nicht Jordi Marí, ehemaligem Lichterjungen von Port Vell.
    »Du kommst also dort oben aus der Windmühle und fliegst auf diesem Lappen durch die Nacht, richtig?«, wiederholte er.
    »Das«, sie bedachte ihn mit einem überaus gehetzten Blick, »ist eine sehr lange Geschichte. Oder auch nicht.«
    Jordi versuchte ein vorsichtiges Lächeln, um das Eis zu brechen, doch das Mädchen beachtete ihn nicht im Geringsten, sondern spähte die Gasse hinab, als suche sie etwas. Dann musterte sie ihn misstrauisch. »Wer bist du eigentlich?«
    »Jordi Marí«, sagte Jordi.
    Das Mädchen beachtete ihn nicht weiter. »Auch egal«, murmelte sie.
    Jordi überlegte noch, was er darauf wohl erwidern mochte, als plötzlich Leben in sie kam. Hastig rappelte sie sich hoch und wollte auf die Füße springen, doch ihre nackten Zehen verfingen sich in einem der losen Stofffäden. Sie fiel zurück auf die Knie.
    »Verdammt, verdammt, verdammt«, fluchte sie durch die Zähne.
    »Langsam«, sagte er. Er reichte ihr die Hand,

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