Malina
interessiert, kann ich verstehen. Ich lasse auch eine Vorsicht walten, damit keiner dem andern ins Gehege kommt. Aber ganz verstehe ich nicht, warum Malina nie über Ivan spricht. Er erwähnt ihn nicht, wie beiläufig nicht, er vermeidet es, unheimlich geschickt, meine Telefongespräche mit Ivan zu hören oder Ivan im Stiegenhaus zu begegnen. Er tut, als kennte er Ivans Wagen noch immer nicht, obwohl mein Auto sehr oft vor oder hinter Ivans Wagen in der Münzgasse steht, und wenn ich morgens, damit Malina nicht zu spät ins Arsenal kommt, mit ihm aus dem Haus gehe, um ihn rasch das kurze Stück zur Arsenalgasse zu fahren, müßte er merken, daß ich Ivans Auto nicht ansehe wie ein Verkehrshindernis, sondern es zärtlich grüße, mit meiner Hand darüberstreiche, auch wenn es naß oder staubig ist, und erleichtert feststelle, daß die Nummer über Nachtdieselbe geblieben ist, W 99.823, Malina steigt ein, ich warte auf ein erlösendes, spöttisches Wort, auf eine beschämende Bemerkung, auf eine Änderung seiner Miene, aber Malina quält mich mit seiner tadellosen Beherrschung, seinem störungsfreien Vertrauen. Während ich voller Spannung warte, auf die große Herausforderung, erzählt mir Malina pedantisch, wie seine Woche aussieht, heute wird gefilmt in der Ruhmeshalle, er hat eine Besprechung mit dem Waffenreferenten, dem Uniformreferenten und dem Ordensreferenten, der Direktor ist verreist und hält einen Vortrag in London, und deswegen muß er allein zu einer Versteigerung von Waffen und Bildern ins Dorotheum gehen, will aber nichts entscheiden, der junge Montenuovo wird seine definitive Pragmatisierung bekommen, Malina hat Samstag und Sonntag in dieser Woche Dienst. Ich habe es vergessen, daß diese Woche wieder sein Turnus kommt, und Malina muß merken, daß ich es vergessen habe, denn ich habe mich versprochen, zu unverhohlen meine Überraschung gezeigt, aber immer noch betrügt er sich, als wäre da niemand und nichts, als gäbe es nur ihn und mich. Als dächte ich an ihn – wie immer.
Ich habe das Interview mit Herrn Mühlbauer, der früher am WIENER TAGBLATT war und ohneSkrupel zur politischen Konkurrenz, zur WIENER NACHTAUSGABE gewechselt hat, schon einige Male verschoben, Ausflüchte gesucht, aber Herr Mühlbauer, mit seiner Beharrlichkeit, seinen Küß-die-Hand-Anrufen, kommt doch ans Ziel, jeder meint zuerst, wie ich, man täte es, um ihn endlich loszuwerden, aber dann ist der Tag da, und gesagt ist gesagt, Herr Mühlbauer, der sich vor Jahren noch Notizen machen mußte, bedient jetzt ein Tonbandgerät, er raucht BELVEDERE und lehnt einen Whisky nicht ab. Wenn Umfragen und ihre Fragen sich auch allesamt ähneln, so kommt diesem Mühlbauer doch das Verdienst zu, mir gegenüber die Indiskretion an eine äußerste Grenze getrieben zu haben.
1. Frage: .......?
Antwort: Was ich zur Zeit? Ich weiß nicht, ob ich Sie verstanden habe. Falls Sie heute meinen, dann möchte ich lieber nicht, jedenfalls heute nicht. Falls ich die Frage anders verstehen darf, zur Zeit im allgemeinen, zu einer für alle, dann bin ich keine Instanz, nein, ich will sagen, nicht maßgeblich, meine Meinung ist nicht maßgebend, ich habe auch gar keine Meinung. Sie haben da erwähnt, wir lebten in einer großen Zeit, und ich war natürlich nicht gefaßt auf eine große Zeit, wer könnte das auch ahnen, solang er noch in den Kindergarten oder in die ersten Schulklassen geht, später natürlich, auchin der Schule oder gar auf der Universität war von überraschend vielen großen Zeiten die Rede, von großen Vorkommnissen, großen Menschen, großen Ideen ...
2. Frage: .......?
Antwort: Meine Entwicklung ... Ach so, geistige Entwicklung, fragen Sie. Ich habe im Sommer lange Spaziergänge auf der Goria gemacht und bin im Gras gelegen. Verzeihen Sie, es gehört aber zur Entwicklung. Nein, ich möchte lieber nicht sagen, wo die Goria ist, sie wird sonst auch noch verkauft und verbaut, es ist ein unerträglicher Gedanke für mich. Beim Heimgehen mußte ich über den Bahndamm ohne Schranken, es war manchmal gefährlich, weil der Gegenzug nicht zu sehen war, wegen der Haselnußstauden und einer Gruppe von Eschen, es ist heute aber kein Bahndamm zu überwinden dort, man geht durch eine Unterführung.
(Hüsteln. Eine merkwürdige Nervosität des Herrn Mühlbauer, die mich nervös macht.)
Zu der großen Zeit, den großen Zeiten fällt mir doch etwas ein, aber damit sage ich Ihnen nichts Neues: die Geschichte lehrt, aber sie hat keine
Weitere Kostenlose Bücher