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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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es weitergeht mit der universellen Prostitution und werfe in dieser de Sade-Kirche einen herausfordernden Blick auf einen jungen Mann, der auch, wie während eines Gottesdienstes, einen blasphemischen Blick zurückgibt, und noch eine Stunde lang schauen wir einander verschwörerisch und heimlich an, in einer Kirche zur Zeit der Inquisition. Bevor ich zu lachen anfange, mit dem Taschentuch zwischen den Zähnen, und ehe mein ersticktes Lachen übergeht in einen Krampfhusten, verlasse ich den Saal, mit einem die Zuhörer empörenden Abgang. Ich muß sofort Ivan anrufen.
    Wie es war? Ganz interessant
    Ach ja, soso, ja und du?
    Nichts Besonderes, es war interessant
    Geh doch du früh schlafen
    Du gähnst ja, du solltest schlafen
    Tu ich nicht, ich weiß noch nicht
    Nein, aber ich muß doch morgen
    Mußt du denn wirklich morgen?
    Ich sitze allein zu Hause und ziehe ein Blatt in die Maschine, tippe gedankenlos: Der Tod wird kommen.
    Fräulein Jellinek hat einen Brief zum Unterschreiben hingelegt.
    Sehr geehrter Herr Schönthal,
    ich danke Ihnen für Ihren Brief vom vergangenen Jahr, ich sehe mit Bestürzung, er ist vom 19. September. Leider war es mir nicht möglich, eher zu antworten, der vielen Abhaltungen wegen, und ich kann auch in diesem Jahr noch keine Verpflichtungen übernehmen. Mit Dank und besten Grüßen.
    Ich ziehe ein anderes Blatt ein und werfe das erste in den Papierkorb.
    Sehr geehrter Herr Schönthal,
    in höchster Angst und fliegender Eile schreibe ich Ihnen heute diesen Brief. Da Sie für mich ein Fremder sind, fällt es mir leichter, Ihnen zu schreiben als meinen Freunden, und da Sie ein Mensch sind, und ich schließe das aus Ihrer so freundlichen Bemühung –
    Wien, den ...
    Eine Unbekannte.
    Jeder würde sagen, daß Ivan und ich nicht glücklich sind. Oder daß wir noch lange keinen Grund haben, uns glücklich zu nennen. Aber jeder hat nicht recht. Jeder ist niemand. Ich habe vergessen, am Telefon Ivan wegen der Steuererklärung zu fragen, Ivan hat großzügig gesagt, er wird mir für das nächste Jahr diese Steuererklärung machen, es geht mir nicht um die Steuer und was diese Steuer von mir schon will für ein anderes Jahr, nur um Ivan geht es für mich, wenn er spricht vom kommenden Jahr, und Ivan sagt mir heute, er habe am Telefon vergessen, mir zu sagen, daß er genug habe von den belegten Broten und daß er einmal wissen möchte, was ich zu kochen verstünde, und nun verspreche ich mir von einem einzigen Abend wieder mehr als vom kommenden Jahr. Denn wenn Ivan will, daß ich koche, dann muß das etwas zu bedeuten haben, er kann mir dann nicht mehr rasch davonlaufen, wie nach einem Drink, und heute nacht sehe ich mich um in der Bibliothek unter meinen Büchern, es sind keine Kochbücher darunter, ich muß sofort welche kaufen, wie absurd, denn was habe ich gelesen bisher, wozu dient mir das jetzt, wenn ich es nicht brauchen kann für Ivan. Die KRITIK DER REINEN VERNUNFT gelesen, bei 60 Watt in der Beatrixgasse, Locke, Leibniz und Hume, in der Düsternis der Nationalbibliothek unter den kleinen Lämpchen von den Vorsokratikern bis zu DAS SEIN UND DAS N ICHTS mich durch alle Begriffe aus allen Zeiten betört, Kafka, Rimbaud und Blake gelesen bei 25 Watt in einem Hotel in Paris, Freud, Adler und Jung gelesen bei 360 Watt in einer einsamen Berliner Straße, zu den leisen Umdrehungen der Chopin-Etüden, eine flammende Rede über die Enteignung des geistigen Eigentums studiert an einem Strand bei Genua, das Papier voller Salzflecken und von der Sonne verbogen, in drei Wochen LA COMÉDIE HUMAINE bei mittelhohem Fieber gelesen, geschwächt von den Antibiotika, in Klagenfurt, Proust gelesen in München bis zum Morgengrauen und bis die Dachdecker in das Mansardenzimmer hereinbrachen, die französischen Moralisten und die Wiener Logistiker gelesen, mit hängenden Strümpfen, zu dreißig französischen Zigaretten am Tag alles gelesen, von DE RERUM NATURA bis zu LE CULTE DE LA RAISON , Geschichte und Philosophie, Medizin und Psychologie getrieben in der Irrenanstalt Steinhof gearbeitet an den Anamnesen der Schizophrenen und der Manisch-Depressiven, Skripten geschrieben im Auditorium Maximum bei nur plus sechs Grad und bei 38 Grad im Schatten noch immer Notizen gemacht über de mundo, de mente, de moto, nach dem Kopfwaschen gelesen Marx und Engels und vollkommen betrunken W. I. Lenin gelesen, und verstört und fliehend Zeitungen und Zeitungen und Zeitungen gelesen, und Zeitungen schon als Kind gelesen, vor dem

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