Malina
entschuldige, wenn ich warte, denn Ivan meint, ich solle bei ihm anfangen damit, ihn ruhig warten lassen, ich solle mich nicht entschuldigen. Er sagt auch: Ich muß doch dir nachlaufen, sorg dafür, du darfst mir nie nachlaufen, du brauchst dringend einen Nachhilfeunterricht, wer hat es denn versäumt, dir den Elementarunterricht zu geben? Aber da Ivan keine Neugier kennt, will er nicht wirklich wissen, wer das versäumt hat, ich muß rasch einen Haken schlagen und Ivan ablenken, ein undefinierbares Lächeln müßte mir einmal gelingen, eine Laune, eine schlechte Stimmung, aber vor Ivan gelingt mir nichts. Du bist zu durchsichtig, sagt Ivan, man sieht ja in jedem Moment, was los ist mit dir, spiel doch, spiel mir etwas vor! Aber was soll ich Ivan vorspielen? Der erste Versuch, ihm einen Vorwurf zu machen, weil er gestern nicht mehr angerufen hat, weil er vergessen hat, mirmeine Zigaretten zu besorgen, weil er immer noch nicht weiß, welche Marke ich rauche, endet in einer Grimasse, denn noch ehe ich an der Tür bin, wenn er läutet, ist kein Vorwurf mehr in mir, und Ivan liest sofort von meinem Gesicht die Wetterlage: aufhellend, heiter, Wärmeeinbruch, wolkenlos, fünf Stunden lang anhaltendes Schönwetter.
Warum sast du denn nicht gleich
Was?
Daß du wieder einmal zu mir kommen willst
Aber!
Ich lasse es dich nicht sagen
Siehst du
Damit du im Spiel bleiben mußt
Ich will kein Spiel
Es geht aber nicht ohne Spiel
Durch Ivan, der das Spiel will, habe ich deswegen auch eine Gruppe von Schimpfsätzen kennengelernt. Über den ersten Schimpfsatz bin ich noch sehr erschrocken, aber nun bin ich fast süchtig geworden und warte auf die Schimpfsätze, weil es ein gutes Zeichen ist, wenn Ivan zu schimpfen beginnt.
Ein kleines Aas bist du, ja du, was sonst?
Immer bekommst du mich herum, ja du
Weil es wahr ist, lach gefälligst
Mach nicht diesen Eisblick
Les hommes sont des cochons
Soviel Französisch wirst du noch können
Les femmes aiment les cochons
Ich rede mit dir, wie ich will
Ein kleines Luder bist du
Du tust doch, was du willst mit mir
Nein, nicht dir abgewöhnen, mehr dazulernen
Du bist zu dumm, du verstehst eben nichts
Ein ganz großes Luder mußt du werden
Schön wär’s, und das größte aller Zeiten
Ja, das will ich, natürlich, was sonst?
Du mußt noch ganz anders werden
Mit diesem Talent, ja, das hast du, natürlich
Eine Hexe bist du, nütz das endlich aus
Dich haben sie ja ganz verdorben
Ja, das bist du, erschrick doch nicht über jedes Wort
Hast du denn das Gesetz nicht verstanden?
Die Schimpfsätze bestreitet Ivan allein, denn von mir kommen keine Antworten, nur Ausrufe oder sehr oft ein ›Aber Ivan!‹, das jetzt nicht mehr so ernst gemeint ist wie im Anfang.
Was weiß Ivan von dem Gesetz, das für mich gilt?aber es wundert mich doch, daß Ivan in seinem Wortschatz das Gesetz hat.
Malina und ich haben, trotz aller Verschiedenheit, die gleiche Scheu vor unseren Namen, nur Ivan geht ganz und gar in seinen Namen ein, und da ihm sein Name selbstverständlich ist, er sich identifiziert weiß durch ihn, ist es auch für mich ein Genuß, ihn auszusprechen, zu denken, vor mich hinzusagen. Sein Name ist ein Genußmittel für mich geworden, ein unentbehrlicher Luxus in meinem armseligen Leben, und ich sorge dafür, daß Ivans Name überall in der Stadt fällt, geflüstert und leise gedacht wird. Auch wenn ich allein bin, allein durch Wien gehe, kann ich mir an vielen Stellen sagen, hier bin ich mit Ivan gegangen, dort habe ich auf Ivan gewartet, in der LINDE war ich mit Ivan essen, am Kohlmarkt habe ich mit Ivan Espresso getrunken, am Kärntnerring arbeitet Ivan, hier kauft Ivan seine Hemden, das dort ist Ivans Reisebüro. Er wird doch nicht schon wieder nach Paris oder München müssen! Auch wo ich nicht war mit Ivan, sage ich mir, hierher müßte ich einmal mit Ivan gehen, das muß ich Ivan zeigen, ich möchte abends einmal mit Ivan vom Cobenzl auf die Stadt heruntersehen oder vom Hochhaus in der Herrengasse. Ivan rührt sich sofort, springt auf, wenn man ihn ruft, aber Malinazögert, und so zögere ich, wenn es sich um mich handelt. Darum tut Ivan gut daran, mich nicht immer beim Namen zu nennen, sondern mir einige Schimpfnamen zu geben, die ihm gerade durch den Kopf gehen, oder ›mein Fräulein‹ zu sagen. Mein Fräulein, wir haben uns schon wieder verraten, es ist schandbar, das wollen wir uns aber doch bald abgewöhnen. Glissons. Glissons.
Daß Ivan sich nicht für Malina
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