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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Ofen, beim Feuermachen, und Zeitungen und Zeitschriften und Taschenbücher überall, auf allen Bahnhöfen, in allen Zügen, in Straßenbahnen, in Omnibussen, Flugzeugen, und alles über alles gelesen, in vier Sprachen, fortiter, fortiter, und alles verstanden, was es zu lesen gibt, und befreit von allem Gelesenen für eine Stunde, lege ich mich neben Ivan und sage: Ich werde dieses Buch, das es noch nicht gibt, für dich schreiben, wenn du es wirklich willst. Aber du mußt es wirklich wollen, wollen von mir, und ich werde nie verlangen, daß du es liest.
    Ivan sagt: Hoffen wir, daß es ein Buch mit gutem Ausgang wird.
    Hoffen wir.
    Das Fleisch habe ich in gleichmäßige Stücke geschnitten. Zwiebel feingehackt, Rosenpaprika bereitgestellt, denn heute gibt es Pörkölt und vorher noch Eier in Senfsauce, ich überlege mir, ob nachher Marillenknödel nicht doch zu viel sind, vielleicht lieber nur Obst, aber wenn Ivan in der Silvesternacht in Wien sein sollte, dann will ich Krambambuli ausprobieren, wozu man den Zucker brennen soll, schon meine Mutter hat es nicht mehr getan. Aus den Kochbüchern errate ich, was mir nicht mehr oder doch noch zugänglich ist, was Ivangern haben könnte, nur ist mir zuviel vom Abliegen, vom Abtreiben, vom Rühren, vom Kneten die Rede, von der Ober- und der Unterhitze, von der ich nicht weiß, wie sie in meinem elektrischen Herd aufkommen soll und ob die Ziffer 200 an dem Schalter des Backrohrs anwendbar ist auf meine Rezepte aus ALT ÖSTERREICH BITTET ZU TISCH oder aus KLEINE UNGARISCHE KÜCHE , und so versuche ich, Ivan einfach zu überraschen, der den hundertsten Rostbraten, Lungenbraten oder Tafelspitz und die ewigen Palatschinken im Restaurant zum Verzweifeln findet. Ich koche ihm, was nicht auf den Speisekarten steht, und ich rätsle daran herum, wie ich die gute alte Zeit mit ihrem Schweinefett und ihrem süßen und sauren Rahm mischen kann mit der vernünftigen neuen Zeit, in der es Joghurt gibt, Salatblätter mit Öl und Zitrone beträufelt, in der die vitaminreichen Gemüse dominieren, die nicht gekocht werden dürfen, in der die Kohlehydrate zählen, die Kalorien und das Maßhalten, die Gewürzlosigkeit. Ivan ahnt nicht, daß ich schon am Morgen herumlaufe und empört frage, warum gibt es jetzt kein Kerbelkraut, wo gibt es Estragon und wann Basilikum, da es befohlen wird von den Rezepten. Beim Gemüsehändler liegt immer nur Petersil und Lauch herum, der Fischhändler hat schon seit Jahren keine Bachforellen mehr bekommen, und so streue ich auf gut Glück das wenige, das zubekommen ist, auf das Fleisch und auf die Gemüse. Ich hoffe, daß der Zwiebelgeruch nicht an meinen Händen bleibt, ich laufe immer wieder ins Bad, um mir die Hände zu waschen, um mit dem Parfüm die Geruchsspuren zu tilgen und um mich zu kämmen. Ivan darf nur ein Ergebnis sehen: daß der Tisch gedeckt ist und die Kerze brennt, und Malina würde sich wundern, daß ich es jetzt sogar fertigbringe, den Wein rechtzeitig kalt zu stellen, die Teller vorzuwärmen, und zwischen Aufgießen und Semmelschnittenbähen trage ich die Wimperntusche auf, schminke mir vor Malinas Rasierspiegel die Augen, zupfe mit der Pinzette die Augenbrauen zurecht, und diese Synchronarbeit, die niemand würdigt, ist anstrengender als alle Arbeiten, die ich früher getan habe. Doch erwartet mich der höchste Preis dafür, weil Ivan deswegen schon um sieben Uhr kommt und bis Mitternacht bleibt. Fünf Stunden Ivan, das könnte reichen für ein paar Tage Zuversicht, als Kreislaufstütze, zur Blutdruckerhöhung, als Nachbehandlung, als vorbeugende Behandlung, als Kur. Nichts wäre mir zu umständlich, nichts zu abwegig, zu anstrengend, um ein Stück Ivanleben zu ergattern; wenn Ivan bei einem Abendessen erwähnt, daß er in Ungarn oft gesegelt ist, will ich sofort Segeln lernen, womöglich gleich morgen früh, meinetwegen auf der Alten Donau, im Kaiserwasser, damit ich gleich mitsegeln kann, wenn Ivan einesTages wieder segeln geht. Denn ich selbst vermag Ivan nicht zu fesseln. Ich forsche, weil das Essen zu früh fertig ist, in der Küche wachend vor dem Herd, nach der Ursache für diese Unfähigkeit, an deren Stelle früher so viele Fähigkeiten waren. Man kann nur fesseln mit einem Vorbehalt, mit kleinen Rückzügen, mit Taktiken, mit dem, was Ivan das Spiel nennt. Er fordert mich auf, im Spiel zu bleiben, denn er weiß nicht, daß es für mich kein Spiel mehr gibt, daß das Spiel eben aus ist. Ich denke an meine Ivanlektion, wenn ich mich

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