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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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auch diese wahnwitzige Geschäftigkeit in der Welt und diese infernalischen Geräusche hören Sie doch, die von ihr ausgehen. Ich würde ja Beschäftigungen verbieten lassen, wenn ich es könnte, aber ich kann sie mir nur selber verbieten, für mich waren die Versuchungen aber nicht groß, ich rechne es mir nicht als Verdienst an, mir sind es ganz und gar unbegreifliche Versuchungen, ich will mich nicht besser machen als ich bin, ich kenne doch Versuchungen, die ich nicht auszusprechen wage, jeder ist ja den schwersten Versuchungen ausgesetzt und unterliegt ihnen und bekämpft sie hoffnungslos, bitte, nicht in Gegenwart ... Ich möchte das lieber nicht sagen. Meine Lieblings-, wie sagten Sie bloß? Landschaften, Tiere, Pflanzen? Lieblings-? Bücher, Musik, Baustile, Malerei? Ich habe keine Lieblingstiere, keine Lieblingsmoskitos, Lieblingskäfer, Lieblingswürmer, beim besten Willen kann ich Ihnen nicht sagen, welche Vögel oder Fische oder Raubtiere ich vorziehe, auch wählen zu müssen, viel allgemeiner, zwischen Organischem und Anorganischem, würde mir schwerfallen.
    (Herr Mühlbauer deutet aufmunternd auf Frances, die leise hereingekommen ist, gähnt, sich streckt und dann mit einem Satz auf den Tisch springt. Herr Mühlbauer muß das Band wechseln. Kleine Unterredung mit Herrn Mühlbauer, der nicht gewußt hat, daß ich Katzen habe im Haus, Sie hätten so nett über Ihre Katzen sprechen können, sagt Herr Mühlbauer vorwurfsvoll, mit den Katzen hätte es eine persönliche Note gegeben! Ich sehe auf die Uhr und sage nervös, aber die Katzen sind nur ein Zufall, ich kann sie gar nicht behalten hier in der Stadt, die Katzen kommen gar nicht in Frage, diese Katzen jedenfalls nicht, und da jetzt auch Trollope ins Zimmer kommt, scheuche ich beide wütend hinaus. Das Band läuft.)
    4. Frage: .......? (Zum zweiten Mal.)
    Antwort: Bücher? Ja, ich lese viel, ich habe immer schon viel gelesen. Nein, ich weiß nicht, ob wir einander verstehen. Ich lese am liebsten auf dem Fußboden, auch auf dem Bett, fast alles liegend, nein, es geht dabei weniger um die Bücher, es hat vor allem mit dem Lesen zu tun, mit Schwarz auf Weiß, mit den Buchstaben, den Silben, den Zeilen, diesen unmenschlichen Fixierungen, den Zeichen, diesen Festlegungen, diesem zum Ausdruck erstarrten Wahn, der aus den Menschen kommt. Glauben Sie mir, Ausdruck ist Wahn, entspringt aus unseremWahn. Es hat auch mit dem Umblättern zu tun, mit dem Jagen von einer Seite zur anderen, der Flucht, der Mittäterschaft an einem wahnwitzigen, geronnenen Erguß, es hat zu tun mit der Niedertracht eines Enjambements, mit der Versicherung des Lebens in einem einzigen Satz, mit der Rückversicherung der Sätze im Leben. Lesen ist ein Laster, das alle anderen Laster ersetzen kann oder zuweilen an ihrer Stelle intensiver allen zum Leben verhilft, es ist eine Ausschweifung, eine verzehrende Sucht. Nein, ich nehme keine Drogen, ich nehme Bücher zu mir, Präferenzen habe ich freilich auch, viele Bücher bekommen mir nicht, einige nehme ich nur am Vormittag ein, andere nur in der Nacht, es gibt Bücher, die ich nicht loslasse, ich ziehe herum in der Wohnung mit ihnen, trage sie vom Wohnzimmer in die Küche, ich lese sie stehend im Korridor, ich benutze keine Lesezeichen, ich bewege den Mund beim Lesen nicht, ich habe schon früh sehr gut lesen gelernt, an die Methode erinnere ich mich nicht, aber Sie sollten dem einmal nachgehen, an unseren Volksschulen in der Provinz muß sie hervorragend gewesen sein, damals, als ich dort das Lesen erlernte, zumindest. Ja, es ist mir auch aufgefallen, aber erst spät, daß in anderen Ländern die Leute nicht lesen können, wenigstens nicht schnell, aber das Tempo ist wichtig, nicht nur die Konzentration, ich bitte Sie, wer wird ohne Ekel an einem einfachenoder komplizierten Satz kauen mögen, mit den Augen oder gar mit dem Mund, ihn wiederkäuen; ein Satz, der nur aus Satzgegenstand und Satzaussage besteht, muß rasch genossen werden, ein Satz mit vielen Appositionen muß gerade deswegen in einem rasanten Tempo genommen werden, mit einem unmerkbaren Slalom der Augäpfel, weil er sich sonst nicht ergibt, ein Satz muß sich einem Leser ›ergeben‹. Ich könnte mich nicht durch ein Buch ›hindurcharbeiten‹, das würde ja schon an Beschäftigung grenzen. Es gibt Leute, sage ich Ihnen, Leute, man erlebt die sonderbarsten Überraschungen auf diesem Gebiet des Lesens ... Eine Schwäche für die Analphabeten habe ich allerdings, ich kenne

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