Malina
Schüler.
(Freundliches Nicken des Herrn Mühlbauer.)
Wann allerdings eine Entwicklung anfängt, das werden Sie zugeben ... Ja, ich wollte Jus studieren, nach drei Semestern habe ich das Studium abgebrochen, fünf Jahre später habe ich noch einmal angefangen und nach einem Semester wieder abgebrochen, Richter oder Staatsanwalt konnte ich nicht werden, aber Anwalt wollte ich auch nicht sein, ich hätte einfach nicht gewußt, wen oder was ich zu vertreten, zu verteidigen imstande gewesen wäre. Alle und niemand, alles und nichts. Sehen Sie, lieber Herr Mühlhofer, Verzeihung, Herr Mühlbauer, was würden Sie, da wir doch alle in einem unverstandenen Gesetz sind, da wir uns die Furchtbarkeit dieses Gesetzes gar nicht auszudenken vermögen, an meiner Stelle getan haben ...
(Ein Wink von Herrn Mühlbauer. Eine neue Störung. Herr Mühlbauer muß das Band wechseln.)
... Gut, wie Sie wünschen, ich will mich verständlicher ausdrücken und gleich zur Sache kommen, ich möchte nur noch sagen, es gibt diese Warnungen, Sie kennen sie, denn die Gerechtigkeit ist so bedrängend nah, und was ich sage, schließt ja nicht aus, daß sie nichts weiter ist als das Verlangen nach einer unerreichbaren reinen Größe, deswegen ist sie dennoch bedrängend und nah, aber in dieser Nähe nennen wir sie die Ungerechtigkeit. Außerdem ist es jedesmal für mich eine Qual, durch die Museumstraße gehen zu müssen, am Justizpalast vorbei, oder zufällig in die Nähe des Parlaments zu geraten, etwa in die Reichsratstraße, wo ich nicht umhin kann, ihn zu sehen, denken Sie bloß an dasWort ›Palast‹ im Zusammenhang mit der Justiz, es warnt, es kann dort nicht einmal wirklich Unrecht gesprochen werden, wieviel weniger dann Recht! In einer Entwicklung bleibt ja nichts ohne Folgen, und dieser tägliche Brand des Justizpalastes ...
(Flüstern von Herrn Mühlbauer: 1927, 15. Juli 1927!)
Der tägliche Brand eines so gespenstischen Palastes mit seinen Kolossalstatuen, mit seinen kolossalen Verhandlungen und Verkündigungen, die man Urteile nennt! Dieses tägliche Brennen ...
(Herr Mühlbauer stoppt und fragt, ob er das letzte Stück löschen dürfe, er sagt ›löschen‹ und er löscht schon.)
... Welche Erlebnisse zu meiner ...? Welche Dinge mich am meisten beeindruckt haben? Einmal ist es mir unheimlich erschienen, daß ich ausgerechnet auf einer Geosynklinale geboren bin, ich verstehe ja nicht allzuviel davon, aber ein Geotropismus muß dann auch für den Menschen unvermeidlich sein, er bewirkt doch eine Richtungsumstellung sondergleichen.
(Betroffenheit von seiten des Herrn Mühlbauer. Hastiges Abwinken.)
3. Frage: .......?
Antwort: Was ich über die Jugend? Nichts, wirklich nichts, bisher jedenfalls habe ich noch nie darüber nachgedacht, ich muß Sie da sehr um Nachsichtbitten, weil ich mir die meisten Fragen, die Sie mir stellen, überhaupt sehr viele Fragen, die man an mich richtet, mir noch nie gestellt habe. Die heutige Jugend? Aber da müßte ich auch über die heutigen Alten und über die Leute, die heute nicht mehr jung sind, aber auch noch nicht alt sind, nachdenken, es ist so schwierig, sich diese Gebiete vorzustellen, diese Sachgebiete, die Fächer Jugend und Alter. Die Abstraktion, wissen Sie, ist vielleicht nicht meine Stärke, ich sehe dann immer gleich solche Anhäufungen, zum Beispiel Kinder auf Kinderspielwiesen, zugegeben, eine Anhäufung von Kindern ist für mich etwas besonders Entsetzliches, auch ganz unbegreiflich ist mir, wie Kinder es unter so vielen Kindern aushalten können. Kinder, verteilt zwischen Erwachsenen, das geht ja noch, aber waren Sie schon einmal in einer Schule? Kein Kind, das nicht ganz und gar schwachsinnig oder bodenlos verdorben ist, aber das sind wohl die meisten, kann sich wünschen, in einem Kinderhaufen zu leben und die Probleme von anderen Kindern zu haben und außer einigen Kinderkrankheiten irgend etwas zu teilen mit anderen Kindern, meinetwegen eine Entwicklung. Der Anblick von jeder größeren Ansammlung von Kindern ist doch deswegen schon alarmierend ...
(Winken mit beiden Händen von seiten des Herrn Mühlbauer. Offenbar kein zustimmendes Winken.)
4. Frage: .......?
Antwort: Meine Lieblings-was? Lieblingsbeschäftigung, ganz richtig, sagten Sie. Ich bin nie beschäftigt. Eine Beschäftigung, die würde mich abhalten, ich verlöre auch noch den kleinsten Überblick, jeden Hinblick, ich kann mich absolut nicht beschäftigen in dieser Geschäftigkeit rundherum, Sie sehen sicher
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