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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Stück Platin haben, seit einem Autounfall, er hat es mir einmal erzählt, und ich merke, daß mir kalt wird, ich fangewieder zu zittern an, es kommt der Mond hervor, er ist von unsrem Fenster aus zu sehen, siehst du den Mond? Ich sehe einen anderen Mond und eine siderische Welt, aber es ist nicht der andere Mond, von dem ich sprechen will, nur reden muß ich, immerzu reden, um mich zu retten, um Malina das nicht anzutun, mein Kopf, mein Kopf, ich werde wahnsinnig, aber Malina soll das nicht wissen. Trotzdem weiß Malina es, und ich bitte ihn, während ich, an ihn gekrampft, auf und ab renne in der Wohnung, mich niederfallen lasse, wieder aufstehe, mir das Hemd aufmache, mich wieder hinfallen lasse, denn ich verliere den Verstand, es kommt über mich, ich verliere den Verstand, ich bin ohne Trost, ich werde wahnsinnig, aber Malina sagt noch einmal: Sei ganz ruhig, laß dich ganz fallen. Ich lasse mich fallen und ich denke an Ivan, ich atme etwas regelmäßiger, Malina massiert meine Hände und meine Füße, die Gegend um das Herz, aber ich werde ja wahnsinnig, nur eines bitte, ich bitte dich nur um eines ... Aber Malina sagt: Warum denn bitten, doch nicht bitten. Ich sage aber, wieder mit meiner heutigen Stimme: Bitte, Ivan darf das nie erfahren, nie wissen (und benommen weiß ich doch, daß Malina nichts von Ivan weiß, warum jetzt über Ivan reden?) – Ivan darf nie, versprich es mir, und solange ich noch reden kann, rede ich, es ist wichtig, daß ich rede, weißt du, ich rede nur noch, und bitte, red dudoch mit mir, Ivan darf nie, nie etwas wissen, bitte erzähl mir etwas, rede mit mir über das Abendessen, wo warst du essen, mit wem, rede zu mir, über die neue Schallplatte, hast du sie mitgebracht, O alter Duft! rede mit mir, es ist gleichgültig, was wir miteinander reden, nur irgend etwas, reden, reden, reden, dann sind wir nicht mehr in Sibirien, nicht mehr in dem Fluß, nicht mehr in den Auen, den Donauauen, dann sind wir wieder da, in der Ungargasse, du mein gelobtes Land, mein Ungarland, rede mit mir, mach überall Licht an, denk nicht an unsre Lichtrechnung, es muß überall Licht sein, dreh alle Schalter an, gib mir Wasser, mach Licht, mach das ganze Licht an! Zünd auch den Leuchter an.
    Malina macht Licht, Malina bringt das Wasser, die Verstörung läßt nach, die Benommenheit nimmt zu, habe ich etwas zu Malina gesagt, habe ich Ivans Namen genannt? Habe ich ›Leuchter‹ gesagt? Weißt du, sage ich, weniger aufgeregt, du mußt es nicht zu ernst nehmen, Ivan lebt und er hat früher einmal gelebt, seltsam, nicht? Vor allem, mach dir nichts daraus, nur ich mache mir heute alles daraus, ich bin deswegen sehr müde, laß das Licht aber brennen. Ivan lebt noch, er wird mich anrufen. Wenn er anruft, dann sag ihm – Malina geht wieder mit mir auf und ab, weil ich nicht still liegen kann, er weiß nicht, was er Ivan sagen soll, ich höre das Telefon läuten. Sag ihm, sag ihm, bittesag ihm! Sag ihm nichts. Am besten: Ich bin nicht zu Hause.
    Mein Vater muß uns die Füße waschen, wie alle unsere Apostolischen Kaiser ihren Armen, an einem Tag im Jahr. Ivan und ich nehmen schon ein Fußbad, das Wasser läuft schwarz schäumend und schmutzig an, wir haben uns lange die Füße nicht gewaschen. Wir waschen sie uns besser selber, denn mein Vater hält sich nicht mehr an die ehrwürdige Pflicht. Ich bin froh, daß unsere Füße jetzt rein sind, daß sie sauber riechen, ich trockne Ivan die Füße und dann mir, wir sitzen auf meinem Bett und sehen einander voller Freude an. Aber jetzt kommt jemand, zu spät, die Tür fliegt auf, es ist mein Vater. Ich zeige auf Ivan, ich sage: Er ist es! Ich weiß nicht, ob ich deswegen die Todesstrafe zu erwarten habe oder nur in ein Lager komme. Mein Vater sieht das schmutzige Wasser, aus dem ich meine weißen, wohlriechenden Füße hebe, und ich mache ihn stolz auch auf Ivans reine Füße aufmerksam. Mein Vater soll nicht merken, trotz allem, obwohl er seine Pflicht wieder nicht getan hat, daß ich froh bin, alles abgewaschen zu haben von dem langen Weg. Es war ein zu langer Weg von ihm zu Ivan, und meine Füße sind schmutzig geworden. Nebenan spielt es aus dem Radio: dadim, dadam. Mein Vater brüllt: DasRadio aus! Es ist nicht das Radio, du weißt es genau, sage ich bestimmt, denn ich habe nie eines gehabt. Mein Vater brüllt wieder: Deine Füße sind ja völlig verdreckt, und das habe ich jetzt auch allen Leuten gesagt. Damit du es nur weißt. Verdreckt, verdreckt! Ich sage

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