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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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die Stimme geschrieben hat und nichts natürlich für mich, weil ich keine Ausbildung habe und nur gezeigt werden soll. Singen soll ich nur, damit das Geld hereinkommt, und ich falle nicht aus der Rolle, die nicht meine Rolle ist, sondern singe um mein Leben, damit mein Vater mir nichts antun kann. ›Wer hülfe mir!‹ Dann vergesse ich die Rolle, ich vergesse auch, daß ich nicht ausgebildet bin, und zuletzt, obwohl der Vorhang schon gefallen ist und die Abrechnung gemacht werden kann, singe ich wirklich, aber etwas aus einer anderen Oper, und in das leere Haus höre ich auch meine Stimme hinausklingen, die die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen nimmt, ›So stürben wir, so stürben wir ...‹. Der junge Mann markiert, er kennt diese Rolle nicht, aber ich singe weiter. ›Tot ist alles. Alles tot!‹ Der junge Mann geht, ich bin allein auf der Bühne, sie schalten das Licht ab und lassen mich ganz allein, in dem lächerlichen Kostüm mit den Stecknadeln darin. ›Seht ihr’s Freunde, seht ihr’s nicht!‹ Und ich stürze mit einer großen tönenden Klage und von dieser Insel und aus dieser Oper, immer noch singend, ›So stürben wir, um ungetrennt ...‹, in den Orchesterraum, in dem kein Orchester mehr ist. Ich habe die Aufführung gerettet, aber ich liege mit gebrochenem Genick zwischen den verlassenen Pulten und Stühlen.
    Mein Vater schlägt auf Melanie ein, dann, weil ein großer Hund warnend zu bellen anfängt, schlägt er diesen Hund, der sich voller Ergebenheit prügeln läßt. So haben meine Mutter und ich uns prügeln lassen, ich weiß, daß der Hund meine Mutter ist, ganz Ergebenheit. Ich frage meinen Vater, warum er auch Melanie schlägt, und er sagt, er verbitte sich diese Fragen, sie bedeute nichts für ihn, schon meine Frage nach ihr sei eine Unverschämtheit, er wiederholt immer, daß ihm Melanie nichts bedeute, er brauche sie nur noch ein paar Wochen lang, zur Auffrischung, ich müsse das verstehen. Ich denke, der Hund habe keine Ahnung, daß er meinen Vater nur ein wenig ins Bein beißen müsse, damit die Prügelei ein Ende hat, aber der Hund heult leise und beißt nicht. Danach unterhält sich mein Vater befriedigt mit mir, es hat ihn erleichtert, zuschlagen zu können, aber ich bin noch immer bedrückt, ich versuche ihm zu erklären, wie krank er mich gemacht hat, einmal muß er es doch erfahren, ich zähle mühsam auf, in wie vielen Krankenhäusern ich war, halte die Rechnungen in der Hand, von den Behandlungen, denn ich meine, wir sollten uns in sie teilen. Mein Vater ist in der besten Laune, nur versteht er den Zusammenhang nicht, weder mit der Prügelei, noch mit seinen Handlungen und meinem Wunsch, ihm das endlich alles zu sagen, es bleibt nutzlos, sinnlos, aber die Atmosphäre istnicht gespannt, eher gut und heiter zwischen uns, denn jetzt will er doch den Vorhang zuziehen und mit mir schlafen, damit Melanie uns nicht sieht, die noch wimmernd dort liegt, aber, wie immer, nichts verstanden hat. Ich lege mich mit einer erbärmlichen Hoffnung nieder, stehe aber sofort wieder auf, ich kann es doch nicht, ich sage ihm, daß mir nichts daran liege, ich höre mich sagen: Ich lege keinen Wert darauf, ich habe nie einen Wert darauf gelegt, es ist kein Wert darauf! Mein Vater ist nicht gerade ungehalten, denn er legt auch keinen Wert darauf, er hält einen seiner Monologe, in dem erinnert er mich auch daran, daß ich einmal gesagt habe, es sei immer die gleiche Sache. Er sagt: Gleiche Sache, also keine Ausreden, rede dich nicht heraus, her mit der gleichen Sache, wenn es die gleiche Sache ist! Aber wir werden gestört, denn wir sind immer gestört worden, es ist sinnlos, ich kann ihm nicht erklären, daß es nur mit der Störung zusammenhängt und nie eine gleiche Sache ist, nur mit ihm, denn ich sehe keinen Wert darauf liegen. Melanie ist es, die stöhnt und stört, mein Vater steigt auf die Kanzel und hält seine Sonntagspredigt, über die gleiche Sache, und alle hören ihm still und fromm zu, er ist der größte Sonntagsprediger weit und breit. Am Ende verflucht er immer etwas oder jemand, damit seine Predigt an Kraft gewinnt, und er verflucht schon wieder, heute verflucht er meine Mutter undmich, er verflucht sein Geschlecht und mein Geschlecht, und ich gehe zu dem Weihwasserbecken der Katholiken und benetze meine Stirn, im Namen des Vaters, ich gehe hinaus, bevor die Predigt zu Ende ist.
    Mein Vater ist mit mir in das Reich der tausend Atolle schwimmen gegangen. Wir tauchen hinunter in

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