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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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lächelnd: Meine Füße sind gewaschen, ich hoffe, daß alle so reine Füße haben.
    Was ist das für eine Musik, Schluß mit der Musik! Mein Vater tobt wie noch nie. Und sag sofort, am wievielten hat Columbus Amerika erreicht? Wie viele Grundfarben gibt es? Wie viele Farbtöne? Drei Grundfarben. Ostwald gibt sie mit 500 an. Alle meine Antworten kommen rasch und richtig, aber sehr leise, ich kann nichts dafür, wenn mein Vater sie nicht hört. Er schreit schon wieder, und jedesmal wenn er die Stimme erhebt, fällt ein Stück Mörtel von der Wand oder es springt ein Stück Holz aus dem Parkettboden. Wie kann er bloß fragen, wenn er die Antworten doch nicht hören will.
    Es ist finster vor dem Fenster, ich kann es nicht öffnen und drücke das Gesicht an die Scheibe, es ist fast nichts zu sehen. Langsam kommt es mir in den Sinn, daß die düstere Lache ein See sein könnte, und ich höre die betrunkenen Männer einen Choral auf dem Eis singen. Ich weiß, daß hinter mir mein Vater eingetreten ist, er hat geschworen, mich zu töten, und ich stelle mich rasch zwischen den langen schweren Vorhang und das Fenster, damit er mich nicht überrascht beim Hinausschauen, aber ich weiß schon, was ich nicht wissen soll: am Seeufer liegt der Friedhof der ermordeten Töchter.
    Auf einem kleinen Schiff beginnt mein Vater seinen großen Film zu drehen. Er ist der Regisseur, und es geht alles nach seinem Willen. Ich habe auch schon wieder klein beigegeben, denn mein Vater möchte ein paar Sequenzen mit mir drehen, er beteuert, ich werde nicht zu erkennen sein, er hat den besten Maskenbildner. Mein Vater hat sich einen Namen zugelegt, niemand weiß welchen, er war schon manchmal in Leuchtschriften über den Kinos der halben Welt zu sehen. Ich sitze wartend herum, bin noch nicht angezogen und geschminkt, habe Lockenwickler auf dem Kopf, nur ein Handtuch über den Schultern, aber plötzlich entdecke ich, daß mein Vater die Situation ausnutzt und heimlich schon dreht, ich springe empört auf, finde nichts, um mich zu bedecken, ich laufe trotzdem zu ihm und dem Kameramann hinüber und sage: Hör auf damit, hör sofort auf! Ich sage, dieser Filmstreifen müsse sofort vernichtet werden, das habe nichts mit Film zu tun, denn es ist gegen die Abmachung, der Streifen müsse entfernt werden. Mein Vater antwortet, gerade das wolle er, es werde die interessanteste Stelle im ganzen Film werden, er dreht weiter. Ich höre mit Entsetzen das Summen der Kamera und verlange noch einmal, daß er aufhört und das Stück Film herausgibt, aber er filmt unbewegt weiter und sagt wieder nein. Ich werde immer aufgeregter und rufe, er habe noch eine Sekunde, es sich zu überlegen, ich hätte keine Angst mehr vor Erpressung, ich werde mir selber zu helfen wissen, wenn niemand mir hilft. Da er wieder nicht reagiert und die Sekunde vorbei ist, schaue ich über die Schornsteine des Schiffs und die Apparate, die überall auf Deck herumstehen, ich stolpere über die Kabel und suche und suche, denn wie kann ich das bloß verhindern, was er tut, ich stürze zurück in die Garderobe, deren Türe ausgehoben ist, damit ich mich nicht einschließen kann, mein Vater lacht, aber in diesem Moment sehe ich die kleine Schale mit dem seifigen Wasser, das für die Manicure dasteht vor dem Spiegel, und blitzschnell kommt mir der Einfall, ich nehme die Schale und schütte die Lauge auf die Apparate und in die Rohre des Schiffes, überall fängt es zu dampfen an, mein Vater steht erstarrt da, und ich sage ihm, daß ich ihn ja gewarnt hätte, ich sei ihm nicht mehr zu Willen, ich sei verändert, ich werde es jedem von nun an, wie ihm, sofort vergelten, was er gegen die Abmachung tut. Das ganze Schiff dampft immer mehr, die Filmarbeiten sind kaputt,die Arbeit muß hastig abgebrochen werden, alle stehen ängstlich und diskutierend beisammen, sie sagen aber, sie hätten den Regisseur sowieso nicht gemocht, sie sind froh darüber, daß dieser Film nicht zustande kommt. Wir verlassen über Strickleitern das Schiff, schaukeln in kleinen Rettungsbooten davon und werden auf ein großes Schiff gebracht. Während ich auf dem großen Schiff erschöpft auf einer Bank sitze und die Rettungsarbeiten beobachte für das kleine Schiff, kommen Menschenleiber angeschwommen, sie sind zwar lebendig, haben aber Brandwunden, wir müssen zusammenrücken, sie sollen alle von diesem Schiff aufgenommen werden, denn weiter weg von unsrem untergehenden Schiff ist ein zweites Schiff explodiert, das auch meinem

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