Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
Vom Netzwerk:
Vater gehörte, mit vielen Passagieren darauf, und dort gab es die vielen Verletzten. Ich bekomme eine grundlose Angst, daß meine kleine Seifenschale auch die Explosion des anderen Schiffes verursacht hat, ich rechne schon damit, wegen Mordes unter Anklage gestellt zu werden, wenn wir an Land kommen. Es treiben immer mehr Menschenleiber auf uns zu, die herausgefischt werden, auch tote. Dann aber höre ich erleichtert, daß das andere Schiff aus ganz anderen Ursachen untergegangen ist. Ich habe nichts damit zu tun, es war eine Fahrlässigkeit meines Vaters.
    Mein Vater will mich aus Wien wegbringen, in ein anderes Land, er redet mir gut zu, ich müsse weg von hier, die Freunde hätten alle einen schlechten Einfluß auf mich, aber ich merke schon, er will keine Zeugen, er will nicht, daß ich mit irgend jemand reden kann und daß es herauskommt. Es könnte ja doch herauskommen. Ich setze mich nicht mehr zur Wehr, frage nur, ob ich Briefe schreiben darf, nach Hause, er sagt, das werde man noch sehen, es sei nicht günstig für mich. Wir sind abgereist in ein fremdes Land, ich habe sogar die Erlaubnis, auf die Straße zu gehen, aber ich kenne niemand und ich verstehe die Sprache nicht. Wir wohnen hoch oben, wo mir schwindlig wird, so hoch kann kein Haus sein, ich habe nie so hoch oben gewohnt und liege den ganzen Tag auf dem Bett, vorbeugend, ich bin gefangen und nicht gefangen, mein Vater sieht nur selten zu mir herein, er schickt meistens eine Frau mit einem verbundenen Gesicht, nur ihre Augen kann ich sehen, sie weiß etwas. Sie stellt mir das Essen hin und den Tee, bald kann ich nicht mehr aufstehen, weil sich alles um mich dreht, schon beim ersten Schritt. Mir fallen die anderen Fälle ein, ich muß also aufstehen, denn das Essen muß vergiftet sein oder der Tee, ich komme noch bis ins Bad und schütte das Essen und den Tee ins Klosett, weder die Frau noch mein Vater haben es bemerkt, sie vergiften mich, es ist furchtbar, ich muß einenBrief schreiben, es entstehen lauter Briefanfänge, die ich verstecke, in der Handtasche, in der Lade, unter dem Kopfpolster, aber ich muß schreiben und einen Brief aus dem Haus bringen. Ich fahre zusammen und lasse den Kugelschreiber fallen, denn mein Vater steht in der Tür, längst hat er das erraten, er sucht alle Briefe, er nimmt einen aus dem Papierkorb heraus und schreit: Mach den Mund auf! Was soll das heißen! Den Mund auf, sag ich! Er schreit stundenlang und hört nicht auf, er läßt mich nicht sprechen, ich weine immer lauter, er schreit besser, wenn ich weine, ich kann ihm nicht sagen, daß ich nichts mehr esse, daß ich das Essen wegschütte, daß ich schon dahintergekommen bin, ich gebe auch noch den zerknitterten Brief heraus, der unter dem Polster liegt, und schluchze. Den Mund auf! Mit den Augen sage ich ihm: Ich habe Heimweh, ich möchte nach Hause! Mein Vater sagt spöttisch: Heimweh! Das ist mir ein schönes Heimweh! Briefe sind das, aber die werden mir nicht spediert, deine werten Briefe an deine werten Freunde.
    Ich bin abgemagert bis auf die Knochen und kann mich nicht aufrechthalten, aber es geht dann doch, ich hole meine Koffer herunter vom Dachboden, leise, mitten in der Nacht, mein Vater schläft fest, ich höre ihn schnarchen, er schnauft und röchelt.Trotz der Höhe habe ich mich hinausgebeugt und hinuntergesehen, auf der andren Straßenseite steht Malinas Auto. Malina, der keinen Brief bekommen hat, muß es begriffen haben, er hat mir seinen Wagen geschickt. Ich tue die wichtigsten Dinge in die Koffer, oder gerade nur, was zu erreichen ist, es muß leise und in der größten Eile geschehen, es muß heute nacht sein, sonst wird es mir nie mehr gelingen. Ich wanke mit den Koffern auf die Straße, ich muß sie alle paar Schritte absetzen und warten, bis ich wieder atmen und sie tragen kann, dann sitze ich im Auto, die Koffer habe ich auf die hinteren Plätze geschoben, der Autoschlüssel steckt, ich fahre an, ich fahre im Zickzack die leere nächtliche Straße, ich weiß ungefähr, wo die Ausfallstraße nach Wien sein muß, die Richtung weiß ich, aber ich kann nicht fahren und bleibe stehen, es geht nicht. Wenigstens bis zu einem Postamt müßte ich kommen, Malina sofort telegrafieren, damit er mich holen kommt, aber es geht nicht. Ich muß wenden, es wird schon hell, das Auto habe ich nicht mehr in der Gewalt, es gleitet auf den Platz zurück, an dem es gestanden ist; steht dort verkehrt, ich möchte noch einmal Gas geben und gegen die Mauer fahren,

Weitere Kostenlose Bücher