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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Wort! es ist mir gleichgültig. Ich soll eine Unterschrift geben, aber mein Vater gibt sie, er ist immer ›solidarisch‹, ich weiß aber nicht einmal, was das heißt. Zu ihm rasch gesagt: Leb wohl, ich habe keine Zeit mehr, ich bin nicht solidarisch. Ich muß jemand suchen! Ich weiß noch nicht genau, wen ich suchen muß, es ist jemand aus Pécs, den ich suche zwischen allen Leuten, in diesem furchtbaren Chaos. Es vergeht auch noch die letzte Zeit, die ich habe, ich fürchteschon, daß er vor mir abtransportiert worden ist, obwohl ich nur mit ihm darüber sprechen kann, mit ihm allein und bis ins siebente Glied, für das ich nicht einstehen kann, weil nach mir nichts mehr kommen wird. In den vielen Baracken, im hintersten Zimmer, finde ich ihn, er wartet dort müde auf mich, es steht ein Strauß Türkenbund in dem leeren Zimmer, neben ihm, der auf dem Boden liegt, in seinem schwärzer als schwarzen siderischen Mantel, in dem ich ihn vor einigen tausend Jahren gesehen habe. Er richtet sich verschlafen auf, er ist ein paar Jahre älter geworden, und groß ist seine Müdigkeit. Er sagt mit seiner ersten Stimme: Ach endlich, endlich bist du gekommen! Und ich falle nieder und lache und weine und küsse ihn, da bist du ja, wenn du nur da bist, ach endlich, endlich! Ein Kind ist auch da, ich sehe nur eines, obwohl mir ist, als müßten da zwei Kinder sein, und das Kind liegt in einer Ecke. Ich habe es sofort erkannt. In einer anderen Ecke liegt die Frau, sanft und duldsam, von der sein Kind ist, sie hat nichts dagegen, daß wir uns hier miteinander vor dem Abtransport niederlegen. Plötzlich heißt es: Aufstehen! Wir stehen alle auf, brechen auf, der Kleine ist schon auf dem Lastwagen, wir müssen uns beeilen, damit wir auch hinaufkommen, ich muß nur noch die schützenden Regenschirme für uns finden, und ich finde sie auch alle, für ihn, für die sanfte Frau, für das Kind, auchfür mich, aber mein Schirm gehört nicht mir, es hat ihn einmal jemand stehengelassen in Wien, und ich bin konsterniert, weil ich ihn immer zurückgeben wollte, nur jetzt bleibt uns keine Zeit mehr dazu. Es ist ein toter Fallschirm. Es ist zu spät, ich muß diesen Schirm nehmen, damit wir durch Ungarn kommen, denn ich habe meine erste Liebe wiedergefunden, es regnet, prasselnd gießt es auf uns alle nieder, vor allem auf das Kind, das so heiter und gefaßt ist. Es fängt wieder an, ich atme zu schnell, wegen des Kindes vielleicht, aber mein Geliebter sagt: Sei ganz ruhig, sei du auch ruhig wie wir! Es wird jetzt gleich der Mond aufgehen. Nur ich habe immer noch Todesangst, weil es wieder anfängt, weil ich wahnsinnig werde, er sagt: Sei ganz ruhig, denk an den Stadtpark, denk an das Blatt, denk an den Garten in Wien, an unseren Baum, die Paulownia blüht. Sofort bin ich ruhig, denn uns beiden ist es gleich ergangen, ich sehe, wie er auf seinen Kopf deutet, ich weiß, was sie mit seinem Kopf gemacht haben. Der Lastwagen muß durch einen Fluß, es ist die Donau, es ist dann doch ein anderer Fluß, ich versuche ganz ruhig zu bleiben, denn hier, in den Donauauen, sind wir einander zum erstenmal begegnet, ich sage, es geht schon, aber dann reißt es mir den Mund auf, ohne einen Schrei, denn es geht eben nicht. Er sagt zu mir, vergiß es mir nicht wieder, es heißt: Facile! Und ich verstehe es falsch, ichschreie, ohne Stimme, es heißt: Facit! Im Fluß, im tiefen Fluß. Kann ich Sie sprechen, einen Augenblick? fragt ein Herr, ich muß Ihnen eine Nachricht überbringen. Ich frage: Wem, wem haben Sie eine Nachricht zu geben? Er sagt: Nur der Prinzessin von Kagran. Ich fahre ihn an: Sprechen Sie diesen Namen nicht aus, niemals. Sagen Sie mir nichts! Aber er zeigt mir ein vertrocknetes Blatt, und da weiß ich, daß er wahr gesprochen hat. Mein Leben ist zu Ende, denn er ist auf dem Transport im Fluß ertrunken, er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.
    Malina hält mich, er ist es, der sagt: Bleib ganz ruhig! Ich muß ruhig bleiben. Aber ich gehe auf und ab mit ihm in der Wohnung, er möchte, daß ich mich hinlege, aber ich kann mich nicht mehr auf das zu weiche Bett legen. Ich lege mich auf den Boden, stehe sofort wieder auf, weil ich so auf einem andren Boden gelegen bin, unter dem sibirischen Mantel, der warm war, und ich gehe, sprechend, redend, Worte auslassend, Worte einlassend, mit ihm auf und ab. Ich lege meinen Kopf verzweifelt an seine Schulter, da, in dieser Schulter muß Malina ein gebrochenes Schlüsselbein mit einem

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