Malina
zeigt sich nichts, ich höre immer nur, leiser oder lauter, eine Stimme zu den Bildern, die sagt: Blutschande. Das ist doch nicht zu verwechseln, ich weiß, was es heißt.
Malina: Nein, nein, du weißt es eben nicht. Wenn man überlebt hat, ist Überleben dem Erkennen im Wege, du weißt nicht einmal,welche deine Leben früher waren und was dein Leben heute ist, du verwechselst sogar deine Leben.
Ich: Ich habe nur ein Leben.
Malina: Überlaß es mir.
Es ist vor dem Schwarzen Meer, und ich weiß, daß die Donau ins Schwarze Meer münden muß. Ich werde münden wie sie. Ich bin alle Ufer gut hinuntergekommen, aber vor dem Delta sehe ich, halb vom Wasser bedeckt, einen feisten Körper, ich kann aber nicht ausweichen und bis in die Mitte des Flusses waten, weil der Fluß hier zu tief und zu weit ist und voller Wirbel. Mein Vater hat sich vor der Mündung im Wasser versteckt, er ist ein riesiges Krokodil, mit müden herabhängenden Augen, das mich nicht vorbeilassen wird. Es gibt jetzt keine Krokodile mehr am Nil, man hat das letzte an die Donau gebracht. Mein Vater öffnet manchmal ein wenig die Augen, es sieht aus, als läge er nur träge da, als wartete er auf nichts, aber er wartet natürlich auf mich, er hat gewußt, daß ich heimkehren will, daß es für mich die Rettung ist. Das Krokodil öffnet manchmal schmachtend den großen Rachen, es hängen die Fetzen, Fleischfetzen von den anderen Frauen darin, und mir fallen die Namen aller Frauen ein, die es zerrissen hat, es schwimmt altes Blut auf dem Wasser,aber auch frisches Blut; ich weiß nicht, wie hungrig mein Vater heute ist. Neben ihm sehe ich plötzlich ein kleines Krokodil liegen, er hat jetzt ein zu ihm passendes Krokodil gefunden. Das kleine Krokodil funkelt aber mit den Augen und ist nicht träge, es schwimmt auf mich zu und will mich, mit falscher Freundlichkeit, auf die rechte und auf die linke Wange küssen. Bevor es mich küssen kann, schreie ich: Du bist ein Krokodil! Gehen Sie zurück zu Ihrem Krokodil, ihr gehört doch zueinander, ihr seid ja Krokodile! Denn ich habe Melanie sofort erkannt, die wieder scheinheilig ihre Augen halb zufallen läßt und nicht mehr funkelt mit ihren Menschenaugen. Mein Vater schreit zurück: Sag das noch einmal! Aber ich sage es nicht noch einmal, obwohl ich es sagen sollte, weil er es befiehlt. Ich habe nur die Wahl, von ihm zerrissen zu werden oder in den Fluß zu gehen, wo er am tiefsten ist. Ich bin vor dem Schwarzen Meer im Rachen meines Vaters verschwunden. Ins Schwarze Meer sind aber drei Blutstropfen von mir, meine letzten, gemündet.
Mein Vater kommt ins Zimmer, er pfeift und singt, er steht da in den Pyjamahosen, ich hasse ihn, ich kann ihn nicht ansehen, ich mache mich zu schaffen an meinem Koffer. Bitte zieh dir doch etwas an, sageich, zieh dir etwas anderes an! Denn er trägt einen Pyjama, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt habe, er trägt ihn absichtlich, und ich möchte ihm den Pyjama herunterreißen, aber plötzlich fällt mir etwas ein, und ich sage beiläufig: Ach, nur du bist es! Ich fange zu tanzen an, ich tanze einen Walzer ganz allein, und mein Vater sieht mir etwas überrascht zu, denn auf dem Bett liegt sein kleines Krokodil, das Samt und Seide anhat, und er fängt an, sein Testament für Samt und Seide zu machen, er schreibt es auf einen großen Bogen und sagt: Du wirst nichts bekommen, hörst du, denn du tanzt ja! Ich tanze wirklich, didam dadam, ich tanze durch alle Räume und fange an, mich auf dem Teppich zu drehen, den er mir nicht wegziehen kann unter den Füßen, es ist der Teppich aus KRIEG UND FRIEDEN . Mein Vater ruft nach meiner Lina: Ziehen Sie ihr doch den Teppich weg! Aber Lina hat Ausgang, und ich lache, tanze und rufe plötzlich: Ivan! Es ist unsere Musik, ist jetzt ein Walzer für Ivan, immer wieder für Ivan, es ist die Rettung, denn mein Vater hat Ivans Namen nie gehört, er hat mich nie tanzen gesehen, er weiß nicht mehr, was er machen soll, man kann mir den Teppich nicht wegziehen, man kann mich nicht aufhalten bei den schnellen Umdrehungen in diesem wirbelnden Tanz, ich rufe Ivan, aber er muß nicht kommen, muß mich nicht halten, denn mit einer Stimme, die noch nie jemand gehabt hat, mitder Sternstimme, der siderischen Stimme, erzeuge ich den Namen Ivan und seine Allgegenwart.
Mein Vater ist außer sich, er schreit empört: Diese Wahnsinnige soll endlich aufhören oder verschwinden, sie soll sofort verschwinden, sonst wacht mein kleines Krokodil auf! Tanzend nähere
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