Malina
Vaters begraben.
Ich bin ins Zeitalter der Stürze gekommen, die Nachbarn lassen manchmal nachfragen, ob etwas passiert sei. Ich bin in ein kleines Grab gefallen und habe mir den Kopf angeschlagen und die Arme ausgerenkt, bis zum nächsten Sturz muß alles geheilt sein, und ich muß diese Zeit in der Gruft zubringen, ich fürchte mich schon vor dem nächsten Sturz, aber ich weiß, da es eine Wahrsagung ist, daß ich dreimal stürzen werde, ehe ich wieder aufstehen kann.
Mein Vater hat mich ins Gefängnis gebracht, ich bin nicht allzu überrascht, denn ich kenne ja seine guten Verbindungen. Zuerst hoffe ich, daß man mich gut behandeln und mich zumindest schreiben lassen wird. Immerhin habe ich hier Zeit und bin vor seinen Nachstellungen sicher. Ich könnte das Buch fertigschreiben, das ich gefunden habe, schon vorher auf dem Weg zum Gefängnis, in diesem Polizeiwagen habe ich einige Sätze im kreisenden Blaulicht gesehen, zwischen den Bäumen hängend, in den Abflußwässern schwimmend, von vielen Autoreifen in einen zu heißen Asphalt gedrückt. Ich habe mir auch alle Sätze gemerkt, und andere sind auch noch im Kopf geblieben, aber aus der früheren Zeit. Ich werde durch lange Gänge geführt, man will ausprobieren, in welche Zelle ich passe, aber dann stellt sich heraus, daß ich keine Vergünstigungen bekomme. Es gibt ein langes Hin und Her zwischen verschiedenen Behörden. Mein Vater steckt dahinter, er hat einen Teil der Akten verschwinden lassen, es verschwinden immer mehr für mich günstige Akten, und zuletzt stellt sich heraus, daß Schreiben für mich nicht zugelassen ist. Ich bekomme jetzt zwar eine Einzelzelle, wie ich es mir gewünscht habe im geheimen, man schiebt auch einen Blechnapf mit Wasser herein, und obwohl es zu schmutzig und finster ist in der Zelle, denke ich nur an das Buch, ich bitte um Papier, ich trommle an die Tür, umPapier, weil ich etwas schreiben muß. Es wird mir leichtfallen in der Zelle, ich bedaure es nicht, hier gefangen zu sein, ich finde mich sofort ab damit, nur rede ich dauernd auf die Leute ein, die draußen vorübergehen und mich nicht verstehen, sie meinen, ich protestiere und wehre mich gegen die Haft, während ich sagen will, daß mir die Haft nichts ausmacht, aber ich möchte ein paar Blätter Papier und einen Stift zum Schreiben. Ein Wärter reißt die Tür auf und sagt: Daraus wird nichts, Sie dürfen an Ihren Vater nicht schreiben! Er schlägt die Tür zu und mir die Tür gegen den Kopf, obwohl ich schon schreie: Doch nicht an meinen Vater, ich verspreche es, nicht an meinen Vater! Mein Vater hat für die Justiz verbreiten lassen, daß ich gefährlich sei, weil ich wieder schreiben wolle an ihn. Es ist aber nicht wahr, ich will nur den Satz vom Grunde schreiben. Ich bin vernichtet und ich schütte deswegen auch noch den Blechnapf mit dem Wasser um, denn lieber will ich verdursten, weil es nicht wahr ist, und während ich verdurste und verdurste, umjubeln mich die Sätze, sie werden immer zahlreicher. Einige sind nur zu sehen, andere nur zu hören wie in der Gloriastraße, nach der ersten Morphiuminjektion. In eine Ecke gekauert, ohne Wasser, weiß ich, daß meine Sätze mich nicht verlassen und daß ich ein Recht habe auf sie. Mein Vater schaut durch eine Luke, es sind nur seine trüben Augen zu sehen, er möchte mir meineSätze abschauen und sie mir nehmen, aber im größten Durst, nach den letzten Halluzinationen, weiß ich noch, daß er mich ohne Worte sterben sieht, ich habe die Worte im Satz vom Grunde verborgen, der vor meinem Vater für immer sicher und geheim ist, so sehr halte ich den Atem an. Es hängt mir die Zunge weit heraus, er kann aber kein Wort darauf lesen. Man durchsucht mich, weil ich ohne Bewußtsein bin, man will mir den Mund befeuchten, die Zunge nässen, damit die Sätze auf ihr zu finden sind, damit man sie sicherstellen kann, aber dann findet man nur drei Steine neben mir und weiß nicht, woher sie gekommen sind und was sie bedeuten. Es sind drei harte, leuchtende Steine, die mir zugeworfen worden sind von der höchsten Instanz, auf die auch mein Vater keinen Einfluß hat, und ich allein weiß, welche Botschaft durch jeden Stein kommt. Der erste rötliche Stein, in dem immerzu junge Blitze zucken, der in die Zelle gefallen ist, vom Himmel, sagt: Staunend leben. Der zweite blaue Stein, in dem alle Blaus zucken, sagt: Schreiben im Staunen. Und ich halte schon den dritten weißen strahlenden Stein in der Hand, dessen Niederfallen niemand
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