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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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diesen Ring von ihm bekommen hätte, er redete jahrelang ununterbrochen von diesem Ring, als könnte ich von einem Ring leben, und wenn ich nicht jeden Tag freiwillig davon redete, fragte er, wo hast du denn meinen Ring, Kind? Und ich, das Kind, ich sagte, um Gottes willen, ich werde doch den Ring nicht, nein, ich bin jetzt ganz sicher, ich habe ihn nur im Bad liegengelassen, ich will ihn sofort holen und an den Finger stecken oder neben mich legen aufdie kleine Kommode, unweit vom Bett, ich kann nur mit deinem Ring in der Nähe einschlafen. Es gab ein entsetzliches Theater um diesen Ring herum, er erzählte auch allen Leuten, er habe mir einen Ring geschenkt, und die Leute meinten am Ende schon, er habe mir das Leben oder zumindest einen Monatswechsel oder ein Haus und einen Garten und die Luft zum Atmen dazu geschenkt, ich konnte diesen verdammten Ring kaum mehr tragen, und als der Ring nicht mehr gelten sollte, hätte ich ihm den Ring gerne ins Gesicht geschmissen, auch weil er ihn mir nämlich gar nicht geschenkt hatte, freiwillig, ich hatte ihn gedrängt, mir eine Bestätigung zu geben, weil nie ein Zeichen kam, weil ich ein Zeichen wollte, und schließlich habe ich den Ring bekommen, von dem immerwährend die Rede war. Man kann aber einen Ring nicht jemand ins Gesicht werfen, und vor die Füße, das wäre zur Not gegangen, doch es ist leichter gesagt als getan, denn wenn jemand sitzt oder auf und ab geht, kann man ihm nicht etwas so Kleines vor die Füße werfen und damit erreichen, was man will. Darum ging ich zuerst ins Bad und wollte ihn in die Klosettmuschel werfen, aber dann kam es mir zu einfach, zu praktisch und zu richtig vor, ich wollte mein Drama haben, auch ich wollte dem Ring jetzt eine Bedeutung geben, und ich fuhr mit dem Auto bis Klosterneuburg, dort stand ich stundenlang auf der Donaubrücke im ersten Winterwind, dann holte ich die Ringschachtel aus der Manteltasche und den Ring aus der Ringschachtel, denn ich trug ihn schon einige Wochen lang nicht mehr, es war der 19. September. An einem kalten Nachmittag, als es noch hell war, warf ich ihn in die Donau.
    Malina: Das erklärt doch gar nichts. Die Donau ist voll von Ringen, jeden Tag wird ein Ring von den Donaubrücken zwischen Klosterneuburg und Fischamend im kalten Winterwind oder im heißen Sommerwind von einem Finger gezogen und hineingeworfen.
    Ich: Ich habe meinen Ring nicht vom Finger gezogen.
    Malina: Darum geht es nicht, ich will deine Geschichte nicht, du weichst mir immerzu aus.
    Ich: Das seltsamste war, daß ich es wußte, die ganze Zeit, daß er mit Mordgedanken um mich herumging, ich wußte nur nicht, aufwelche Art er mich beseitigen wollte. Möglich war alles. Aber ausgedacht haben konnte er sich nur eine Möglichkeit, und eben diese eine konnte ich nicht erraten. Ich wußte nicht, daß es das heute und hier noch gibt.
    Malina: Gewußt hast du es vielleicht nicht, aber du warst einverstanden.
    Ich: Ich schwöre dir, ich war nicht einverstanden, man kann doch nicht einverstanden sein, man will weg, man flieht. Was willst du mir einreden? ich war nie einverstanden!
    Malina: Schwör nicht. Vergiß nicht, daß du nie schwörst.
    Ich: Natürlich wußte ich, er würde mich an der Stelle treffen wollen, wo ich am verletzlichsten bin, denn dann brauchte er nichts mehr zu tun, er mußte nur noch warten, abwarten, bis ich selber, bis ich mich selber ...
    Malina: Hör auf zu weinen.
    Ich: Ich weine doch nicht, das willst du mir einreden, du bringst mich noch zum Weinen. Es war aber ganz anders. Dann habe ich mich umgesehen, und in meiner Umgebung, und auch fern von meiner Umgebung, habe ich bemerkt, daß alle abwarten,sie tun nichts weiter, tun nichts Besonderes, sie drücken den anderen die Schlafmittel in die Hand, das Rasiermesser, sie sorgen dafür, daß man kopflos an einem Felsenweg spazierengeht, daß man in einem fahrenden Zug betrunken die Tür aufmacht oder daß sich einfach eine Krankheit einstellt. Wenn man lange genug wartet, kommt ein Zusammenbruch, es kommt ein langes oder ein kurzes Ende. Manche überleben das ja, aber man überlebt es eben nur.
    Malina: Wie einverstanden aber muß man sein?
    Ich: Ich habe zu sehr gelitten, ich weiß nichts mehr, ich gebe nichts zu, wie soll ich das wissen, ich weiß zuwenig, ich hasse meinen Vater, ich hasse ihn, Gott allein weiß, wie sehr, ich weiß nicht, warum das so ist.
    Malina: Wen hast du zu deinem Götzen gemacht?
    Ich: Niemand. So geht es nicht weiter, ich komme nicht weiter, es

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