Malloreon 1 - Herrn des Westens
anzufangen.«
»Möchtest du heraufkommen?«
»Wenn ich darf.«
»Die Tür ist auf der anderen Seite.«
Botschaft stiefelte noch einmal um den Turm herum und stellte fest, daß ein riesiger Stein verrückt worden war, um eine Tür freizugeben. Er trat ein und stieg die Treppe hoch.
Ein Turmgemach glich dem andern, aber zwischen diesem und Belgaraths gab es gewisse Unterschiede. Wie in Belgaraths Turm brannte Feuer in einer Feuerstelle, doch da war nichts zu sehen, was die Flammen genährt hätte. Nichts, was nicht gebraucht wurde, lag hier herum, denn der Herr dieses Turmes bewahrte seine Pergamente, Schriftrollen und dergleichen an irgendeinem unvorstellbaren Ort auf, wo er sie nur zu rufen brauchte, wenn er sie benötigte.
Der Herr des Turmes saß neben dem Feuer. Bart und Haupthaar waren weiß, und er trug ein weites blaues Gewand. »Komm ans Feuer, Junge, und trockne deine Füße«, forderte er Botschaft mit seiner sanften Stimme auf.
»Danke«, sagte Botschaft.
»Wie geht es Polgara?«
»Sehr gut«, antwortete Botschaft. »Sie ist glücklich. Ich glaube, sie ist sehr gern verheiratet.« Er hob einen Fuß und hielt ihn dicht ans Feuer.
»Verbrenn dir die Stiefel nicht.«
»Ich werde aufpassen.«
»Möchtest du ein Frühstück?«
»Das wäre fein. Belgarath vergißt so was manchmal.«
»Dort, auf dem Tisch.«
Botschaft drehte sich um und sah eine Schüssel mit dampfendem Haferbrei, die zuvor nicht dort gestanden hatte.
»Vielen Dank«, sagte er höflich. Er ging zum Tisch und rückte einen Stuhl heran.
»Gibt es etwas Besonderes, worüber du sprechen wolltest?«
»Nicht wirklich«, antwortete Botschaft. Er griff nach einem Löffel und begann den Brei zu essen. »Ich dachte nur, ich sollte Euch einen Besuch machen. Es ist schließlich Euer Tal.«
»Polgara hat dir gute Manieren beigebracht, wie ich sehe.«
Botschaft lächelte. »Dies und noch anderes mehr.«
»Bist du glücklich bei ihr, Botschaft?« fragte der Herr des Turmes.
»Ja, Aldur, sehr«, versicherte ihm Botschaft und löffelte weiter seinen Brei.
3
Im Lauf des Sommers suchte Botschaft immer mehr die Gesellschaft Durniks. Er erkannte, daß der Schmied ein ungewöhnlich geduldiger Mann war, der alles gern auf die alte Weise machte, nicht so sehr, weil er gegen »die Art, die uns gegeben ist«, wie Belgarath es nannte, eingestellt war, sondern weil es ihm eine tiefe Befriedigung verlieh, etwas mit den Händen zu schaffen. Das sollte nicht heißen, daß Durnik nicht hin und wieder mal etwas abkürzte. Botschaft fiel in diesem Benehmen des Schmiedes eine gewisse Methodik auf. Durnik lehnte ›die andere Art‹ energisch ab, wenn es um etwas ging, das er für Polgara oder ihr Haus machte. Egal, wie aufwendig und anstrengend das sein mochte, Durnik führte solche Arbeiten ausschließlich mit den Händen und der Kraft seiner Arme aus.
Bei gewissen anderen Arbeiten außerhalb war Durnik jedoch nicht so streng. Sechshundert Ellen Holzzaun beispielsweise standen eines Morgens ziemlich rasch. Der Zaun war notwendig, daran bestand kein Zweifel; denn eine algarische Rinderherde wollte hartnäckig auf ihrem Weg zur Tränke den kürzeren Weg durch Polgaras Garten nehmen. Tatsächlich erschien der Zaun von einem Herzschlag zum andern vor den Augen der erschrockenen Kühe. Die ersten fünfzig Ellen betrachteten sie verblüfft, und nach mehreren Minuten der Unentschlossenheit machten sie sich daran, um das Hindernis herumzugehen. An seinem Ende aber tauchten weitere fünfzig Ellen Zaun vor ihnen auf. Mit der Zeit wurden die Rinder immer verwirrter, sie versuchten sogar zu laufen, als glaubten sie, so schneller sein zu können als dieser unheimliche Zaunbauer. Durnik blieb reglos, mit angespanntem Gesicht, auf einem Baumstumpf sitzen und verlängerte entschlossen den Zaun Stück um Stück, zum Leidwesen der zusehends gereizter werdenden Rinder. Ein dunkelbrauner Stier geriet schließlich so in Wut, daß er mit den Hufen die Erde aufscharrte; den Kopf senkte und mit gewaltigem Gebrüll auf den Zaun zustürmte. Durnik drehte seine Hand auf merkwürdige Weise, und plötzlich wirbelte der Stier mitten im Laufen herum und raste in die entgegengesetzte Richtung. Nachdem er ein gutes Stück gerannt war, wurde ihm bewußt, daß seine Hörner noch keine Angriffsfläche gefunden hatten. Er bremste ab, hob sichtlich verwundert den Kopf, starrte zweifelnd zurück auf den Zaun, dann drehte er sich wieder um und stürmte noch einmal darauf los. Aufs neue wirbelte
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