Malloreon 1 - Herrn des Westens
diesem Winter. Es stimmte zwar, daß es dem älteren Zauberer mehr als einmal gelungen war, Polgaras Ärger auf ihn herabzubeschwören, aber Botschaft fand, man sollte wahrhaftig nicht von ihm erwarten, daß er sich un unterbrochen bemühte, ein braver Junge in ihrem Sinne zu sein. Kaum lag Schnee, setzte er sich wieder auf seinen Schlitten. Nachdem Polgara mehrmals beobachtet hatte, wie er den Hang herabgesaust kam und über die Wiese flog, ersuchte sie Durnik, vor sichtshalber eine Barriere am Bachufer zu errichten, damit sich das Mißgeschick des vergangenen Winters nicht wiederhole. Während der Schmied einen Zaun aus Matten errichtete, der Botschaft auf dem Trockenen hielt, ohne daß er sich ernsthaft daran weh tun konnte, fiel sein Blick auf den Bach. Die oft recht schlammigen Rinnsale, die in ihn mündeten, waren jetzt eisversiegelt, und das Wasser des Baches war niedrig und glasklar. Ganz deutlich vermochte Durnik deshalb die länglichen schmalen Wesen zu sehen, die wie Schatten in der Strömung über dem Kiesbett schwebten.
»Wie seltsam«, murmelte er, und seine Augen nahmen diesen merkwürdigen, abwesenden Ausdruck an. »Sie sind mir nie zuvor aufgefallen.«
»Ich habe sie schon öfter springen sehen«, sagte Botschaft. »Aber meistens ist das Wasser zu trüb, als daß man sie unter der Oberfläche wahrnehmen könnte.«
»Das wird wohl der Grund sein«, bestätigte Durnik. Er befestigte das Ende des Mattenzauns an einem Baum, dann stapfte er nachdenklich durch den Schnee zu dem Schuppen, den er hinter dem Haus errichtet hatte. Kurz darauf kehrte er mit einer Rolle gewachster Schnur zurück und machte sich ans Angeln. Botschaft lächelte und plagte sich mit dem Schlitten den langen Hang wieder hoch. Als er oben ankam, wartete eine vermummte junge Frau auf ihn, die er noch nie gesehen hatte.
»Kann ich Euch helfen?« erkundigte er sich höflich.
Die junge Frau schlug die Kapuze zurück, und so konnte der Junge sehen, daß ein dunkles Tuch straff um ihre Augen gebunden war. »Du bist der, den man Botschaft nennt?« fragte sie. Ihre Stimme war melodisch, ihre Ausdrucksweise seltsam altertümlich.
»Ja«, antwortete Botschaft. »Der bin ich. Habt Ihr Eure Augen verletzt?«
»Nein, sanftes Kind«, antwortete sie. »Es ist mir bestimmt, die Welt in einem anderen Licht als dem der Sonne zu sehen.«
»Möchtet Ihr in unser Haus kommen?« lud Botschaft sie ein. »Ihr könntet Euch am Feuer aufwärmen, und Polgara würde sich über Gesellschaft freuen.«
»Ich bewundere Lady Polgara, doch die Zeit, daß wir uns begegnen, ist noch nicht gekommen«, erwiderte die junge Frau. »Und wo ich bin, ist es nicht kalt.« Sie hielt inne, beugte sich ein wenig vor, als mustere sie ihn, obgleich das Tuch um ihre Augen sehr dicht war. »Dann stimmt es also«, murmelte sie. »Aus so großer Entfernung konnten wir nicht sicher sein, doch nun, da ich dir gegenüberstehe, weiß ich, daß es keinen Zweifel geben kann.« Sie richtete sich auf. »Wir sehen uns wieder«, versicherte sie ihm.
»Wie Ihr wünscht, Madam«, entgegnete Botschaft höflich.
Sie lächelte, und so strahlend war ihr Lächeln, daß man fast meinen konnte, sie bringe Sonnenschein in den bedeckten Winternachmittag. »Ich bin Cyradis und dir wohlgesinnt, sanfter Botschaft, obgleich die Zeit kommen mag, da ich gegen dich entscheiden muß.« Und dann verschwand sie, als wäre sie nie hiergewesen.
Ein wenig erschrocken schaute Botschaft auf die Stelle, wo sie gestanden hatte, und sah, daß der Schnee dort völlig unberührt war. Er setzte sich auf den Schlitten, um über diese merkwürdige Begegnung nachzudenken. Nichts, was diese seltsame Frau gesagt hatte, ergab einen Sinn, aber er war sicher, daß es eines Tages welchen ergeben würde. Nach längerem Überlegen kam er zur Überzeugung, daß es Polgara aufregen würde, wenn er ihr von dieser eigenartigen Begegnung erzählte. Und da er nicht glaubte, daß diese Cyradis eine Bedrohung darstellte oder ihm schaden würde, beschloß er, diesen Vorfall nicht zu erwähnen.
Dann, weil es auf der Kuppe beißend kalt wurde, setzte er seinen Schlitten in Bewegung und rodelte den langen Hang hinunter und über die Wiese bis kurz vor den Rand des Baches, wo Durnik so in sein Fischen vertieft war, daß er nichts sah und hörte, was um ihn vorging.
Polgara war sehr nachsichtig, was Durniks neue Freizeitbeschäftigung betraf. Jeweils gab sie sich gebührend beeindruckt über Länge, Gewicht und Silberfärbung des Fanges,
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