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Malloreon 1 - Herrn des Westens

Malloreon 1 - Herrn des Westens

Titel: Malloreon 1 - Herrn des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Eddings
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sprang. Als er mit den Füßen in der Luft war, schimmerte er, Gefieder entfaltete sich, und er flog davon.
    Der mächtige Baum stand in der Mitte einer riesigen Wiese. Sein Stamm war breiter als ein Haus, seine Zweige beschatteten mehrere Morgen Land, und seine Krone hob sich Hunderte von Fuß in die Luft. Er war unvorstellbar alt. Seine Wurzeln reichten beinahe bis ins Herz der Welt, und seine Äste berührten den Himmel. Allein und stumm stand er da, als bilde er eine Verbindung zwischen Erde und Himmel, die dazu beitragen sollte, die Menschheit zu verstehen.
    Als Botschaft in diese gewaltige, vom Baum beschattete Fläche ritt, flog Beldin herbei, segelte flüchtig über ihm und ließ sich fallen, daß es fast aussah, als stolpere er in seine natürliche Gestalt. »Also gut«, brummte er. »Da ist er. Was nun?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, gestand Botschaft. Er rutschte vom Pferd herunter und ging durch das weiche, nachgiebige Gras auf den gewaltigen Stamm zu. Die Bewußtheit des Baumes war nun sehr stark, und Botschaft näherte sich ihm neugierig; denn er ahnte immer noch nicht so recht, was dieser von ihm wollte.
    Dann streckte er die Hand nach der rauhen Rinde aus. In dem Augenblick, als er sie berührte, verstand er. Plötzlich wußte er alles über die gesamte Lebensspanne des Baumes.
    Über Abermillionen von Sonnenaufgängen vermochte er zu der Zeit zurückzublicken, als die Welt aus dem Urchaos entstanden war, aus dem die Götter sie erschaffen hatten. Er kannte mit einemmal die unbegreifliche Länge der Zeit, in der die Erde sich in Erwartung des Menschen stumm gedreht hatte.
    Er sah den schier endlosen, immer wiederkehrenden Wechsel der Jahreszeiten, und er spürte die Schritte der Götter auf der Erde. Und so, wie der Baum es wußte, wurde Botschaft klar, wie sehr die Menschen sich in ihrer Vorstellung des Wesens der Zeit täuschten. Der Mensch mußte die Zeit in vorstellbare Stücke aufteilen, in Äonen, Jahrhunderte, Jahre, Stunden. Der ewige Baum jedoch wußte, daß die Zeit ein Ganzes war – nicht eine endlose Wiederholung der gleichen Geschehnisse, sondern daß sie sich von ihrem Anfang auf ein endgültiges Ziel zubewegte. Ihre für die Menschen nützliche Aufteilung war von keiner wirklichen Bedeutung. Um ihm diese einfache Wahrheit mitzuteilen, hatte der Baum ihn hierhergerufen. Als Botschaft sie verstand, bedachte der Baum ihn mit seiner Freundschaft und Zuneigung.
    Langsam ließ Botschaft die Fingerspitzen von der Rinde gleiten, dann drehte er sich um und kehrte zu Beldin zurück.
    »Das war's?« fragte der bucklige Zauberer. »Das war alles, was er wollte?«
    »Ja, das war alles. Wir können jetzt heimgehen.«
    Beldin blickte ihn durchdringend an. »Was hat er gesagt?«
    »Etwas, das sich nicht in Worte fassen läßt.«
    »Versuch's!«
    »Nun – er machte mich darauf aufmerksam, daß wir den Jahren zuviel Aufmerksamkeit widmen.«
    »Das ist ausgesprochen hilfreich, Botschaft.«
    Botschaft bemühte sich. Er strengte sich an, Worte zu finden, die ausdrücken würden, was er gerade erfahren hatte. »Dinge geschehen in ihrer eigenen Zeit«, sagte er schließlich. »Es spielt keine Rolle, wie viele – oder wenige, von dem, was wir Jahre nennen, dazwischen liegen.«
    »Von welchen Dingen sprichst du?«
    »Von den wichtigen. Mußt du mir wirklich den ganzen Weg nach Hause folgen?«
    »Es ist meine Pflicht, dich im Auge zu behalten. Reitest du jetzt heim?«
    »Ja.« »Ich werde da oben sein.« Beldin deutete zur blauen Himmelskuppel. Wieder nahm er schimmernd die Gestalt eines Falken an und schwang sich mit festen Flügelschlägen in die Lüfte.
    Botschaft zog sich auf den Rücken des Hengstes. Seine nachdenkliche Stimmung übertrug sich irgendwie auf das Tier, und statt zu galoppieren, trottete es nordwärts zum Haus in seinem kleinen Tal.
    Der Junge grübelte über die Botschaft des ewigen Baumes, während er so durch das goldene, sonnengetränkte Gras ritt, und achtete kaum auf seine Umgebung. Deshalb bemerkte er auch die vermummte Gestalt nicht, die unter einer weitausladenden Kiefer stand, bis er sie fast erreicht hatte. Das Pferd warnte ihn mit einem erschrockenen Schnauben, als die Gestalt sich rührte.
    »Du bist also derjenige!« stellte der Vermummte mit einer Stimme fest, die kaum menschlich klang.
    Botschaft legte beruhigend die Hand auf den Nacken des zitternden Pferdes und betrachtete die dunkle Gestalt vor sich. Er spürte die Wellen des Hasses, die ihm von ihr entgegenschlugen,

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