Malory
du mir nie bis zum Tee durch.«
Amy kicherte. »O Mutter, ich halte schon durch. Ich werde jeden Augenblick der Bewerbungszeremonie auskosten, bis der Richtige kommt, um mich aufzugabeln.«
»Wie ordinär, Kind«, empörte sich Charlotte, konnte aber ein Lachen nicht unterdrücken. »Aufgabeln, na hör mal! Du redest schon wie Jeremy.«
»Himmeldonnerwetter, meinst du wirklich?«
Ihre Mutter lachte. »Bitte, laß das! Und laß dir bloß nicht einfallen, Jeremy in Gegenwart deines Vaters nachzuahmen.
Der wird sich sonst seinen Bruder vorknöpfen, und James hat nun mal eine Abneigung gegen Vorwürfe oder wohlgemeinte Ratschläge. Ich kann bis heute kaum glauben, daß die beiden Brüder sind, so gegensätzlich wie sie sind.«
»Vater ähnelt keinem seiner Brüder, und gerade darum liebe ich ihn so.«
»Kein Wunder«, erwiderte Charlotte. »So nachgiebig, wie er dir gegenüber immer ist.«
»Nicht immer! Sonst hätte er mich nicht so lange warten lassen, bis ...«
Die restlichen Worte wurden von Charlottes fester Umarmung erstickt.
»Dafür habe ich gesorgt, Liebes, und sei mir nicht böse, daß ich mein Baby ein wenig länger bei mir behalten wollte. Ihr seid alle so schnell erwachsen geworden. Du bist die letzte, und nach deinem Erfolg heute abend weiß ich, daß du mir im Handumdrehen von einem netten jungen Mann aufgegabelt wirst. Natürlich ist mir das recht, aber nicht so schnell. Ich glaube, dich werde ich am meisten vermissen, wenn du uns verläßt. Und nun schlaf ein bißchen.«
Den Tränen nahe wandte sich Charlotte plötzlich ab und stürzte, Agnes im Schlepptau, aus dem Zimmer. Amy seufzte, denn mit einem gemischten Gefühl aus Hoffnung und Furcht wurde ihr bewußt, daß die Worte ihrer Mutter eine prophetische Bedeutung besaßen. Sicher würde Charlotte sie nach ihrer Hochzeit am meisten vermissen, denn sie würde nach Amerika gehen, und der ganze Ozean würde zwischen ihr und ihrer Familie liegen, wenn sie dem Mann ihrer Wahl folgte. Von dieser Seite hatte sie die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet.
Verflixte Gefühle. Warum hatte sie nicht ein Engländer in ihr geweckt?
Kapitel 4
»Warum eigentlich Judith?« fragte James, auf den Namen seiner jüngsten Nichte anspielend. »Warum nicht etwas Melodi-scheres – wie Jacqueline?«
Sie waren beide im Kinderzimmer, wo sich Anthony häufig aufhielt, wenn er zu Hause war. Heute hatte er sein Töchterchen zur Abwechslung ganz für sich, denn seine Frau Roslynn besuchte ihre Freundin Lady Frances. Nettie, dieser alte schot-tische Drachen, der als Roslynns Anhängsel mit in seinen Haushalt gekommen war und sofort die Betreuung der kleinen Judith übernommen hatte, war nur auf sein Drohen hin aus dem Zimmer gegangen. Anthony mußte gelegentlich sehr energisch durchgreifen, um von den vielen Frauen im Haus nicht völlig unterdrückt zu werden. Von Roslynn wurde er es längst, fand James.
»Gib endlich Ruhe«, war Anthonys Antwort auf James’ Frage. »Nur damit du deinen Kopf durchsetzen und sie Jack nennen kannst? Warum nennst du deine Tochter nicht Jacqueline, wenn’s soweit ist, und ich nenne sie dann Jack?«
»Dann nenne ich sie doch selbst gleich Jack, dann gibt’s nichts mehr daran zu rütteln.«
»Ich glaube nicht, daß George damit einverstanden wäre«, schnaubte Anthony.
Mit einem Seufzer ließ James den Gedanken fallen. »Das glaube ich auch nicht.«
»Ihre Brüder erst recht nicht«, fügte Anthony hinzu.
»In dem Fall ...«
»... tätest du’s, stimmt’s?«
»Alles würde ich tun, nur um diese ungehobelten Raufbolde zu ärgern«, antwortete James im Brustton der Überzeugung.
Anthony lachte schallend und weckte damit die kleine Judith in seinen Armen. Doch sie fing nicht an zu weinen, sondern ruderte nur aufgeregt mit ihren winzigen Ärmchen.
Ihr Vater ergriff eines ihrer Händchen, führte es an die Lippen und blickte seinen Bruder strahlend an. Sie waren verschieden wie Tag und Nacht, diese beiden Brüder. Anthony war größer und schlanker, hatte schwarzes Haar und blaue Augen; James dagegen war, wie seine beiden anderen Brüder, blond und kräftig gebaut, und seine Augen hatten einen sanften grünlichen Schimmer. Judith hingegen hatte etwas von beiden Eltern; sie würde das atemberaubende rotblonde Haar ihrer Mutter bekommen, ihre Augen aber zeigten schon jetzt das Kobaltblau der väterlichen Linie.
»Wie lange, glaubst du, wollen die Yankees diesmal bleiben?« fragte Anthony.
»Auf jeden Fall zu lange«, antwortete
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