Malory
waren die beiden großartig miteinander ausgekommen. Durch ihre Sorge, daß keiner der zahlreichen jüngeren Brüder auf die schiefe Bahn geraten möge, hatten sie doch so manches gemein.
Amy war eine Zeitlang recht deprimiert gewesen, daß sie sich von den fünf Anderson-Brüdern, von denen jeder auf seine Art attraktiv war, ausgerechnet den für sie Unpassendsten auserko-ren hatte. Andererseits hatte sie ihn ja eigentlich gar nicht auser-koren. Die Gefühle, die er in ihr ausgelöst hatte, waren schuld gewesen und hatten ihr keinen Zweifel gelassen, daß er der Richtige für sie war. Keiner der anderen Brüder hatte ähnliche Empfindungen in ihr geweckt, das heißt, überhaupt kein anderer Mann, nicht einmal heute abend, als die begehrtesten Junggesel-len der besseren Londoner Gesellschaft um ihre Gunst gebuhlt hatten. Und nachdem sie Georgina und Roslynn von ihren Gefühlen bei ihrer ersten Begegnung mit ihren Ehemännern hatte reden hören, wußte Amy, was diese Gefühle bedeuteten.
Da gab es kein Entrinnen, nein. Doch sie war optimistisch und zuversichtlich, vor allem nach ihren umwerfenden Erfolgen an diesem Abend, daß es keine Probleme für sie geben würde.
Nun gut, vielleicht ein paar ... oder vielleicht auch eine ganze Menge, aber sie waren alle zu überwinden, wenn sie diesen Mann erst vor sich hatte, und das würde ja bald der Fall sein.
»Nun, Liebes«, sagte ihre Mutter, als sie jetzt hinter sie trat, um ihr Haar zu bürsten. »Du mußt ja ganz erschöpft sein. Kein Wunder, denn ich glaube, du hast keinen Tanz ausgelassen.«
Doch Amy war nicht im geringsten müde, obwohl der Morgen schon graute. Sie war noch zu aufgedreht, um schlafen zu können. Aber wenn sie das zugäbe, würde Charlotte noch stundenlang mit ihr plaudern. Deshalb nickte sie nur, denn sie wollte ein Weilchen allein sein, ehe die Müdigkeit sie überkäme.
»War doch klar, daß sie Erfolg haben würde«, meinte Agnes, die sich am Kleiderschrank zu schaffen machte. »Sie hat Ihre älteren Töchter glatt in den Schatten gestellt, Lotte. Wie gut, daß sie schon verheiratet sind. Habe ich das nicht immer gesagt?«
Agnes kommandierte nicht nur Amy herum, sondern auch Charlotte, die sich jedoch nie beklagte oder auch nur daran dachte, ihre alte Zofe in die Schranken zu weisen. Agnes’ Haar war schlohweiß, ihr Gesicht mit Altersflecken übersät, und ihre Finger waren nicht mehr so flink wie einst, doch sie diente schon so lange im Hause, daß sie wie selbstverständlich zur Familie gehörte.
Amy seufzte leise. So gerne sie Agnes auch durch eine eigene Zofe ersetzt hätte, so wußte sie doch, daß sie es nie über ihr Herz bringen würde, die Gefühle der alten Frau zu verletzen.
Charlotte runzelte leicht die Stirn über Agnes’ letzte Bemerkung. Sie war mit ihren einundvierzig Jahren noch immer eine attraktive Frau: Ihr braunes Haar zeigte noch keine Spur von Grau, ihre braunen Augen glichen denen all ihrer Kinder mit Ausnahme von Amy, die, wie Anthony, Reggie und Jeremy, das pechschwarze Haar und die exotisch geschnittenen, kobaltblauen Augen ihrer Urgroßmutter väterlicherseits geerbt hatte, die einem Gerücht zufolge eine Zigeunerin gewesen war. Onkel James hatte ihr eines Tages anvertraut, das sei kein Gerücht, sondern die reine Wahrheit. Sie wußte freilich nicht, ob er sie damit nur hatte necken wollen.
»Ich glaube schon, daß deine Schwestern heute abend ein wenig neidisch gewesen wären«, sagte Charlotte, »besonders Clare.«
»Clare ist viel zu glücklich mit ihrem Walter, um sich daran zu erinnern, daß sie zwei Jahre brauchte, bis sie ihn endlich gefunden hat.« Und ihre Geduld hatte sich gelohnt, denn Walter würde einen bedeutenden Titel erben. »Warum sollte sie mich beneiden, wenn sie eines Tages Herzogin wird, Mutter?«
Charlotte lächelte. »Da hast du allerdings recht.«
»Und obwohl ich nicht selbst dabeisein durfte« – Amy war noch immer erzürnt, daß sie hatte warten müssen, bis sie fast achtzehn war, während Diana schon mit siebzehneinhalb in die Gesellschaft eingeführt worden war –, »habe ich doch erfahren, daß Diana genauso viele Verehrer hatte wie ich. Sie hat sich nur zufällig in den ersten verliebt, der um sie gewor-ben hat.«
»Stimmt.« Charlotte seufzte. »Und dabei fällt mir ein, daß wir morgen, das heißt heute, einen Massenansturm von jungen Anwärtern, denen du auf dem Ball den Kopf verdreht hast, zu bewältigen haben. Wirklich, du mußt ein bißchen schlafen.
Sonst hältst
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