MAMMON - Für Deine Sünden wirst Du büßen (German Edition)
keine blutrünstige Mädchenmörderin hinter der schuppigen Eisenpforte auf sie gelauert hätte.
Braulio deutete auf das Portal: „Edoardo, schau nach, ob du es öffnen kannst!“
Edoardo schlich an der Wand entlang. Als er gegen die Tür drückte, gab sie geräuschlos nach. Er bedeutete den anderen durch ein Winken, sie sollten nachkommen. Edoardo wartete nicht, sondern betrat die menschenleere Empfangshalle. Die elegante Einrichtung erstaunte ihn. Was hatte er erwartet? Eine dampfende Höhle mit kahlen Wänden? Blutrote Teppiche? Käfige und Folterwerkzeug? Nein, die Ausstattung war von erlesenem Geschmack. Freundliches helles Holz, fein geschwungene Lüster, herrliche Gläser – das alles passte nicht zu Edoardos Bild von der blutbefleckten, grausamen Herrscherin. Als die anderen eintraten, hielt er bereits die Zeichnung der Dienerin in der Hand und warf einen Blick darauf.
Braulio flüsterte: „Stimmen die Angaben?“
„Was wesentliche Dinge wie Treppen und Ausgänge betrifft, ja.“ Braulio nickte. „Jetzt wird es spannend.“ Entgegen seiner ursprünglichen Planung wollte Braulio die Tat jetzt selbst durchführen. Er packte Tommaso an der Schulter. „Gib mir den
Stab! Du bleibst hier und bewachst den Eingang.“
Dann zeigte Braulio zu der Treppe, die auf der rechten Seite des Saales hinaufführte. „Da entlang!“
Oben kamen sie in einen langen Flur, der nach einer Rechtsbiegung zum Schlafzimmer der Verurteilten führte. Auf der anderen Seite befanden sich weitere Zimmer, in einem davon musste Eszter leben.
Edoardo wagte einen Blick um die Ecke zu der Tür. Alle hielten den Atem an.
Dort saß Krisztiáns Sohn; der Kopf war auf die Brust gesunken. Also sie weiterschlichen, hörten sie ihn schnarchen.
„Schlägst du ihn bewusstlos?“, fragte Edoardo.
Er bekam keine Antwort. Stattdessen spürte er eine seltsame Veränderung in den Zügen des Freundes. Mit kurzen schnellen Schritten pirschte der sich leise an den Schläfer heran. Wie von selbst umklammerte seine Hand das Messer, und noch bevor Edoardo rufen konnte: „Nein!“, bohrte sich die Klinge in das Herz des jungen Mannes. Dem blieb ein winziger Moment, um die Augen ein letztes Mal zu öffnen.
Edoardo ging zu ihm und fuhr ihn an: „Wieso hast du das getan? Der Junge war unschuldig.“ Noch nie hatte er in so einem Ton zu Braulio gesprochen.
In Braulios Gesicht breitete sich tiefe Zufriedenheit aus. Er lächelte.
„Braulio!“, rief Edoardo entsetzt. Doch der Freund reagierte nicht.
„Braulio, denk an unseren Schwur! Du selbst hast alle auf die Chronik schwören lassen. Kein Unschuldiger, Braulio, kein Unschuldiger darf jemals wieder getötet werden!“
Noch immer zeigte Braulio keine Reaktion. Stattdessen verzerrte sich sein Lächeln zu einer maskenhaften Fratze.
Edoardo empfand ein Gefühl der Beklommenheit.
Braulio wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er Edoardo zur Seite stieß. „Wer ist dein Anführer?“, herrschte er ihn an.
Edoardo wandte sich ab.
Den Messerstab in der Rechten, schritt Braulio Ostrogón durch
die Tür zum ehemaligen Schlafgemach. Die Kerze des toten Hauptmanns erhellte mit mattem Licht die gespenstische Kammer. Braulio befand sich in einem verwahrlosten Raum. Überall hingen Spinnweben, dichter Staub wirbelte bei seinen Schritten auf. Die Stirnseite des Zimmers begrenzte eine Mauer, die nach dem Bau des Gebäudes eingefügt worden war. Dann sah er den kleinen Schlitz.
„Hallo?“, hauchte eine brüchige Frauenstimme durch die Öffnung. Braulio erschauerte. Die Blutgräfin. Er rührte sich nicht.
„Hallo?“
Er umklammerte die Waffe, bis die Adern an seinem Unterarm scharf hervortraten.
„Hallo?“
Es war unheimlich.
„Hallo? Warum sprecht Ihr nicht mit mir?“ Es war fast ein Flehen, das die Gräfin mit geisterhafter Fistelstimme hören ließ. Ein Schauer überlief Braulio.
„Der Schritt ist anders als sonst. Wer seid Ihr?“
Braulio bebte vor Anspannung. Plötzlich ging er zu der Maueröffnung und sagte: „Ich habe von Euren Taten gehört. Und ich bewundere die Konsequenz, mit der ihr gehandelt habt!“
Die Stille auf der anderen Seite währte lange. „So lange habe ich keine Stimme mehr gehört …“ Der süßliche Klang ihres gebrochenen Französisch ließ ein sinnliches Wesen hinter der Wand vermuten, eine empfindsame Frau. Doch Braulio wusste, was dort lauerte.
„Hört auf mit dem Gesäusel! Ihr habt Eure Triebe ausgelebt. Und Eure Macht und Euer Reichtum geben Euch
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