Man Down
es vorbei war. Irgendwas war kaputtgegangen zwischen uns. Irgendwas war zerstört, was sich nicht mehr reparieren ließ.
„Ich kann das niemals annehmen“, sagte sie.
„Du musst dich nicht mehr verkaufen.“
„So verkauf ich mich an dich.“
„Du schuldest mir nichts. Keinen Fick, keinen Kuss, alles aus und alles vorbei.“
Sie stülpte das T-Shirt am rechten Ärmel ein wenig hoch, um das Tattoo genauer zu betrachten. „Was ist dein Himmel?“
„Ein Mädchen.“
Sie lächelte. „ Natürlich! Kai und die Liebe.“
„Ein Baum, viele Wolken.“
„Die Natur“, sagte sie.
„Und die Musik.“
„Musik?“
„Der Engel mit der Trompete.“
„Oh!“
„Das Mädchen bist du“, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf, sah mich an und lachte. „Oh Gott!“
„Was?!“
„Das bin wirklich ich.“
„Na klar.“
„Das kriegst du nie mehr weg!“
„Soll auch bleiben!“
„Hat’s wehgetan?“
„Keine Sekunde.“
„Glaube ich nicht.“
„Es hat nicht wehgetan, weil ich die ganze Zeit an dich gedacht habe.“
„ Weil ich die ganze Zeit an dich gedacht habe “, sagte Marion und lachte, sie lachte zu viel, sie lachte zu laut. „Hör auf, wir sind nicht in einem Schlagerfilm aus den 50ern!“
„Ich schwör, ich habe die ganzen sechs Stunden an dich gedacht, Marion. Ich bin doch verloren ohne dich.“
Sie ging zwei Stufen hoch, ich wollte sie noch einmal halten, noch einmal küssen, aber sie wollte nicht gehalten werden. Sie war so fremd. So kalt. So anders.
Ich hatte sie verloren.
Ich würde sie nie wieder haben.
Die Schiebetür öffnete sich.
„Das, was wir erlebt haben, das kann uns keiner mehr nehmen, Kai. Das ist für die Ewigkeit.“
Es ist vorbei.
„Es gibt keine Chance mehr?“
Alles vorbei.
Marion schüttelte den Kopf und blickte mir fest in die Augen.
„Aber warum? Warum Marion? Es tut mir doch leid.“
„Ich habe Angst vor dir.“
„Du musst keine Angst haben.“
„Aber ich habe Angst.“
„Du musst doch keine Angst haben!“
Ich ging ihr einen Schritt entgegen, aber sie wehrte mich mit ausgestrecktem Arm ab.
„Keiner kann uns das nehmen“, sagte sie. „Das Schöne. Das gehört nur dir und mir. Für alle Ewigkeit. Und den Rest vergessen wir.“
Es ist vorbei.
„Lass uns den Rest vergessen, ja?“
Ich nickte und sah ihr ein letztes Mal in die Augen. Ihr Blick war voller Schmerz. Der Blick tat mir weh. Sie verschwand durch die Tür.
Es war vorbei.
Verloren.
All das Sehnen.
Vorbei.
***
Am Ende angekommen, am Ende von allen Enden. Da, wo nichts mehr ist, wo nur noch du bist. Am Ende aller Welten, aller Zeiten. Am Ende des Seins.
Es geht nicht mehr weiter.
Ich könnte mit ein paar Monaten Knast leben, ich könnte mir ein ganzes Leben ohne Auto, ohne Computer, ohne Handy vorstellen – aber niemals ohne Marion. Ein Leben im Ghetto, in meinem Dreckloch, ein Leben ohne Job und Zukunft – alles möglich. Aber nur mit Marion.
Ein Leben ohne mein Mädchen – nein.
Ich bin keine 17 mehr, ich glaube nicht mehr an die große, ewige Liebe, ich weiß, es würden nach Marion noch andere Frauen kommen. Aber keine würde ich lieben so wie sie. So liebt man nur einmal. So liebt man niemals wieder.
Marion verlässt mich zu einem Zeitpunkt, da ich es nicht überleben kann. Marion lässt mich in einem schwarzen Loch zurück, das alles verschlingt und vernichtet.
Ich nehme keine Drogen mehr, wie ich es geschworen habe. Ich trinke auch keinen Alk mehr. Ich höre nur noch Musik. Ich liege auf der Matratze und bete. Ja, verdammt! Ich bete zu dem Herrgott am Kreuz. Ich kann noch all die Sprüche, die uns Angela beigebracht hat. Ich frage mich, woher sie, die sie am Anfang kaum ein Wort Deutsch sprechen konnte, diese alten Kirchengebete kannte. Ich kann sie alle noch auswendig. Da hing so ein Bild im Schlafzimmer über dem Doppelbett – ein riesiges Bild vom Fegefeuer. Das Bild jagte mir immer nen Schauer über den Rücken. Die unendlich vielen Menschenkörper, zusammengepfercht, mit schmerzverzerrten Gesichtern, diese zum Himmel gereckten Arme, ich glaubte immer, das Stöhnen und Schreien und Weinen der Menschen zu hören, glaubte, ihre Sünden zu kennen, jede einzelne. Angela sagte immer, mit jedem Mal, wenn wir dieses eine Gebet sprechen, wird eine dieser verlorenen Seelen in den Himmel aufgenommen.
Lieber Heiland, sei so gut, lasse doch das teure Blut in das Fegefeuer gießen, wo die armen Seelen büßen, ach, sie leiden große Pein, woll’ es ihnen gnädig
Weitere Kostenlose Bücher