Man Down
Doc sagt, das würde sich nicht mehr spielen. Ich habe den Doc gewechselt, aber der neue sagt dasselbe.
Ich will wieder auf ein Dach, aber der Idiot vom Arbeitsamt schickte mich in einen Esoterik-Buchladen in Schwabing, der gebrauchte Wohlfühlliteratur und Tanzkreis-CDs zu Schleuderpreisen verkauft. Die Chefin, eine verrückte Hippiebraut, die immer barfuß ging, sagte mir, ich solle mir die Haare wachsen lassen und doch bitte nicht mehr mit der Bomberjacke auftauchen. Zehn Stunden am Tag lief in dem Geschäft Free-Jazz und im unteren Stock tranken die Hippietante und ihre Freunde und Angestellten literweise Kaffee, über den sie erst ein Pendel hielten, um zu sehen, ob nicht böse Geister in ihm wohnten, philosophierten, politisierten und rauchten um die Wette. Ich durfte oben an der Kasse in der Zugluft die Stellung halten. Die laute Jazzmusik machte mich verrückt, ich musste mich betrinken, um das Gedudel und Paulo Coelhos Fresse auf dem Riesenposter an der Wand zu ertragen, aber die Hippiebraut erwischte mich mit der Wodkaflasche inflagranti. Sie warf mich raus, und ganz entgegen ihrer Love & Peace-Attitude wurde sie sogar handgreiflich dabei. Mein nächster Einsatz war als Telefonist in einem Callcenter. Ich habe dort zwei Tage gearbeitet, dann hielt ich es nicht mehr aus. Zwölf Stunden zu sitzen und Leuten etwas am Telefon vorzulügen, dafür wurde ich nicht geschaffen. Dafür wurde kein Mensch geschaffen. Das ist völlig krank.
Nein. Ich will wieder auf ein Dach. Näher an die Sonne. Näher an den Himmel. Ich will an die frische Luft. Ich ersticke in geschlossenen Räumen, ich halte das nicht aus.
***
Shane versorgte mich mit dem, was mich davon abhielt durchzudrehen. Es gab zwei, drei Wochen, da war ich jeden Tag zugedröhnt. Es gab Tage, da habe ich mich schon am Morgen völlig weggeschmissen. Ich verschiss die Zeit, so gut ich konnte. Entweder ich kiffte oder ich soff, meistens tat ich beides gleichzeitig. Mir war alles scheißegal. Es gab nur den Rausch, die Musik, das Lachen, das Philosophieren, den großen Weltschmerz. Ich hatte längst aufgegeben, die Stellenanzeigen zu lesen. Keiner wollte n Humpelbein wie mich.
Shane hatte immer Gras. Er saß dann in seinem Sessel wie n King, breitbeinig, lächelnd, das Gras auf seinen austrainierten Schenkeln angehäuft, mit ner Tüte so fett, dass Peter Tosh neidisch geworden wäre, und wenn er mir die Tüte dann reichte, tat er das so konzentriert, als wäre all das eine heilige Zeremonie. „Kauf dir mal neue Klamotten, Kai. Die Jeans kenne ich schon länger als dich.“
„Kein Wunder. Die hast du mir geschenkt.“
„Zieh sie sofort aus!“
„Das sind meine Lieblingsjeans.“
„Und dieser Kapuzenpulli! Ich sehe seit drei Wochen dieselben Mottenlöcher.“
„Ich hab nur zwei Sweatshirts.“
„Dann zieh mal das andere an.“
„Das finde ich nicht mehr.“
„Warum sagst du dann, du hättest zwei?“
„Warum nicht?“
„Weil du nur noch eines hast, Mann!“
„Es ist ja nur verschollen. Wahrscheinlich liegt es in der Waschmaschine im Keller. Vielleicht liegt es unter der Matratze, was weiß ich.“
Shane schüttelte den Kopf und strich sich mit beiden Händen die Haare aus dem Gesicht. Ich zog an der Tüte und legte mich auf seine Couch.
„Es gibt zwei Sorten von Menschen“, sagte Shane. „Die einen sind Täter. Die anderen Opfer. Und du bist ein Opfer.“
„Wenn du das sagst.“
„Du hast Sehnsucht nach deinem Untergang. Du bist gerne unten. Ich bin gerne oben. Über mir darf keiner sein. Kein Boss, kein Gott. Ich bin frei. Dich kann keiner retten, du bist verloren.“
Ich konnte ihm nicht widersprechen, also sagte ich gar nichts, rauchte das verdammte Weed und lächelte glückselig.
Irgendwann klingelte es an der Tür, einmal, zweimal, dreimal, aber Shane rührte sich nicht. Nach einer kurzen Pause hörten wir die Tür quietschen, dann Schritte, aber irgendwie war es uns scheißegal. Ob da nun ein Bulle auftauchte, ein Dieb oder der Postbote – jeder war willkommen. Shane verlangte den Joint zurück, zog daran und lächelte. Er dachte nicht im Traum daran, das Teil zu verstecken.
Und da stand dann diese Kleine im Zimmer. Das erste, was ich mir dachte: Gebt ihr ne neue Frisur, und sie sieht klasse aus. Gebt ihr ne neue Frisur und sie ist die Cameron Diaz von Giesing.
„Hallo“, sagte sie schüchtern, ohne aufzublicken. Verdammt, sie war heiß, aber sie hatte zu viele Haare auf dem Kopf, hatte sie hochgesteckt, mit vielen
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