Man Down
draußen.“
„Tun sie nicht, Kai. Die haben schon Scharfschützen angefordert. Die ballern dir den Schädel weg.“
„Nichts anderes will ich“, sage ich leise.
„Du willst die beiden gar nicht umbringen?“
„Ich bin doch kein Mörder, Burcak.“
„Was soll dann das Ganze? Du schmeißt das Leben weg, für was? Damit sie sich da draußen eine Erkältung holen, während dir ein Polizist den Kopf wegschießt?“
„Ich möchte, dass sie einmal Angst haben. Dass sie einmal zittern, so wie ich gezittert habe. Dass sie einmal bis zum Hals in der Scheiße stecken. Sie sollen einmal um ihr Scheißleben fürchten, diese Hurensöhne, wissen, wie es ist, wenn man gar nichts mehr hat. Sie sollen Albträume haben, so wie ich sie hatte all die Monate.“
„Und dafür willst du sterben? Für das bisschen Rache. Das ist doch …“
„Mein Leben für nen Kuss“, sage ich leise. „Erinnerst du dich? Mein Leben für nen Kuss. Ich habe ihn bekommen, ich kann mich nicht beklagen.“
Sie schüttelt den Kopf.
„Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Burcak. Du kannst hier nichts mehr tun.“
„Ich lass dich nicht allein.“
„Weißt du, was ich nicht verstehe? Warum du dich um mich sorgst. Am Anfang dachte ich, es wäre, weil ich Shanes Kumpel wäre, aber jetzt?“
„Ich habe schon einmal vergeblich versucht, einen Menschen zu retten. Vielleicht wollte ich was gutmachen. Ich wusste von Anfang an, dass was Schlimmes mit dir passieren würde. Wie bei meinem Bruder. Und ich konnte wieder nichts ausrichten. Ich habe wieder versagt.“
Ich will ihre Hand nehmen, aber weil die Bullen glotzen, lass ich es bleiben.
„Es tut mir leid, Burcak. Dass ich dich da mit reingezogen hab.“
Sie zuckt mit den Schultern und lächelt für nen kurzen Augenblick, als wolle sie sagen: Scheiß drauf.
„Versprich mir, dass du das Geld Shane gibst. Versprichst du mir das?“
Sie presst die Lippen aufeinander und nickt.
„Marion ist die, die dafür bezahlen muss, wenn du das Geld den Bullen und nicht Shane gibst. Nicht ich. Marion. Ich tu das nur für sie.“
Burcak verlässt den Raum, ohne noch was zu sagen. Ohne Abschiedskuss. Ohne letzten Blick.
Ich lasse die Kupplung spicken, steuere die Vespa zu den beiden Schwuchteln, steige ab und öffne das Fenster.
„Alles klar, Meyer?“
„Jetzt ist Schluss mit dem Unsinn“, sagt er und will wieder hereinkommen, aber ich halte ihm das Eisen so dicht vor den Schädel, dass er es vorzieht, draußen zu bleiben.
„Dafür wirst du bezahlen, Samweber“, sagt er. „Dafür wirst du bezahlen.“
Ich setze mich auf die Vespa, baue mir nen Joint, nen feinen, fetten, allerletzten Joint, und zünde ihn an. Ich summe ein Liedchen.
Ich habe Zeit, viel, viel Zeit.
André Pilz
© Foto: Doris Doppler
Zum Autor
André Pilz, geboren 1972, lebt in München und Vorarlberg. Student, Gitarrist, Briefträger, Museumswärter und Flughafenarbeiter, seit 2007 freier Schriftsteller. Seine Romane No llores, mi querida – Weine nicht, mein Schatz. Ein Skinhead-Roman (2005) und Man Down (2010) wurden dramatisiert und in Berlin und München uraufgeführt. Bei Haymon: Man Down. Roman (2010) und Bataillon d’Amour. Eine Geschichte von Liebe und Gewalt (HAYMONtb 2010). www.liebeundgewalt.blogspot.com
Impressum
© 2010
HAYMO N verlag
Innsbruck-Wien
www.haymonverlag.at
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-7099-7543-5
Die Songzitate im Roman stammen, soweit nicht aus dem Text ersichtlich, von:
Mickie Krause – „Zeig doch mal die Möpse“
Bob Marley – „Satisfy my Soul“
Billy Idol – „Dancing with Myself“
TempEau – „Wie sehr ich dich vermisse“
(in dieser Reihenfolge)
Umschlag- und Buchgestaltung, Satz: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol
Mitarbeit: Ines Graus
Coverfoto: www.fotowerk-aichner.at
Diesen Roman erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at .
Weitere Kostenlose Bücher