Man lebt nur zweimal
Nacht . Es ist ihnen meist egal, was ich lese. Kindern ist es glaube ich wichtiger, wie man liest, als was man liest. Zum Glück einiger Kinderbuchschreiber.
Kinder sind das beste Publikum. Man kann an ihren Gesichtern genau ablesen, wie sie bei einer Geschichte mitgehen. Ob sie etwas fasziniert oder eher langweilt. Sie haben noch nicht gelernt, ihre Gefühle zu verbergen wie die Erwachsenen.
Wenn ich Maya und Vito dann im Arm halte und es riecht im Raum nach Erdbeershampoo, nach Bettgehzeit und Kinderzahnpasta, würde ich den Moment oft gerne festhalten. Einfach einfrieren und aufheben. Für schlechte Zeiten.
Natürlich sind meine Kinder ein bisschen verwöhnt, was das private Unterhaltungsprogramm angeht. Wer hat schon einen Profi-Vorleser zu Hause. Wenn ich ihnen Geschichten erzähle oder aus einem Buch vorlese, stelle ich mir auch immer vor, ich säße in einem Studio bei irgendeinem Rundfunksender und müsste eine CD besprechen. Ich versuche keine Fehler zu machen und betone die Dinge, wie sich das für einen Schauspieler gehört, der ein Kinderbuch liest. Deswegen bin ich in der Familie auch der Favorit, was das Vorlesen betrifft. Die meisten Dinge machen sie schon noch lieber mit der Mami. Gerade Vito ist ein ganz schönes Muttersöhnchen. Doch Lesungen und Rühreier (à la Papa), das ist meine Sache.
Aber die Konkurrenz schläft nicht. Wir haben hinten im Auto ein kleines Entertainment-Programm, zwei Fernseher mit CD -Player, die in die vorderen Nackenstützen eingebaut sind. Eigentlich nur für lange Fahrten gedacht, als Nothilfe sozusagen, wenn gar nichts mehr geht. (Die Eltern unter Ihnen werden das kennen.) Wenn man mit mehreren Kindern längere Strecken im Auto verbringen muss, gibt es nicht viele Möglichkeiten, das ohne Nervenzusammenbruch zu überstehen. Eigentlich nur zwei. Entweder man hat besagtes Entertainmentprogramm oder man ist taub. Weil ich Kinder in aller Regel mag und finde, dass sie unseren Schutz brauchen und verdienen, habe ich eine dritte Variante bewusst ausgeschlossen. Ich würde sie nicht unter Valium setzen. Wenn man aber nicht über eine dieser Möglichkeiten verfügt, bilden sie sehr schnell ihr eigenes Entertainmentprogramm im Font des Wagens.
Vito (nach einem Kilometer): »Mir ist langweilig.«
Maya (die (noch) liest): »Dann lies was.«
Vito: »Ich kann aber nicht lesen.«
Maya: »Pech gehabt.«
Vito (nach zwei Kilometern): »Ich hab Hunger.«
Maya (nach fünf Kilometern): »Ich hab Durst.«
Vito (nach sieben Kilometern): »Ich muss mal.«
Maya: »Wie lange ist es noch?«
Vito: »Die Maya hat mir die Zunge rausgestreckt.«
Maya: »Mama, darf ich auf deinem Handy spielen?«
Vito (nach zehn Kilometern): »Ich hab Durst.«
Maya (nach 12 Kilometern): »Mir ist schlecht.«
Vito (nach 15 Kilometern): »Sind wir bald da?«
Maya (nach 18 Kilometern): »Der Vito hat mich an den Haaren gezogen.«
Vito (nach 20 Kilometern): »Mir ist immer noch langweilig.«
Und dann geht das Spiel von vorne los. Bei einer mittleren Urlaubsfahrt von uns aus in den Süden Italiens, sagen wir runde 1000 Kilometer, ist es meinem Sohn dementsprechend hundert Mal langweilig und meine Tochter muss fünfzig Mal auf die Toilette. Das sind natürlich nur Richtwerte, die variieren können.
Ich kenne nur ein Kind, dem im Auto auf Reisen diese Verhaltensweise nicht nachgesagt wurde und wird. Mich. Das heißt, als ich klein war. Gott und meine Eltern sind Zeugen. Meine Mutter erzählt diese Geschichten sehr gerne. Wenn sie mit ihren Kindern, also mit meiner Schwester und mir, nach Italien gefahren ist, hat sie mich auf den Rücksitz gelegt. Wir waren noch nicht aus der Ausfahrt, da war ich schon im Bubu-Land. Kurz vor dem Brenner bin ich das erste Mal aufgewacht und habe gefragt: »Sind wir schon über die Mülheimer Brücke?« (Eine Rheinbrücke in Köln.) Meine Mutter ist mit mir kurz zum Pinkeln gegangen. Dann hab ich mich wieder aufs Ohr gehauen und durchgepennt. Bis Rimini. Das nenn ich pflegeleicht.
Wir waren beim Entertainmentprogramm im Auto stehen geblieben. Bei den Fernsehern.
Auf kurzen Strecken sind sie tabu. (Es sei denn, ich lasse mich von meiner Frau fahren und sitze selber hinten.) Wenn ich Vito in den Kindergarten fahre, muss ich also ein vernünftiges Gegenprogramm liefern, sonst wird gemeckert.
Am liebsten mag Vito, wenn ich über Lucky Luke singe. Ich habe ihm mal die Geschichte des sagenumwobenen Cowboys erzählt, der schneller war als sein Schatten. Seitdem ist er von ihm
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