Man lebt nur zweimal
Viktoria kam mir mit dem Rest, also ein paar Tellern, Gabeln, der Kaffeekanne, der Kuchenplatte, der zusammengefalteten Tischdecke, einer angebrochenen Milch, den Wasserflaschen und noch ein paar anderen Kleinigkeiten hinterher und wir räumten die Sachen weg. Auf einmal stupste mich Viktoria an und zeigte Richtung Glastür nach draußen. Maya, die offenbar dachte, dass wir sie nicht mehr beobachteten, stand da und rüttelte an dem Zierbäumchen. Ein paar Blätter fielen herunter. Die sammelte sie ein, verstaute sie in ihrem Karton und fing wieder an zu rütteln. Diesmal wesentlich heftiger. Viktoria und ich mussten lachen.
Meine Frau war ein bisschen sauer auf Maya, weil sie nicht gehorcht hatte. Das heißt, eigentlich hatte sie ja gehorcht. Und auch wieder nicht. Ich freute mich insgeheim, denn ich fand es ganz schön clever von Maya. Wer hatte nun recht? Entscheiden Sie selbst.
Dass ich mein spätes Familienglück ganz gut genießen kann, heißt aber nicht, dass ich jetzt Vollzeitpapi bin und nichts anderes mehr zu tun hätte, als meine Kinder zu betüddeln – wie diese Profi-Eltern, die Kindererziehung zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben und immer alles besser wissen, wenn es um pädagogische Fragen geht. Ich lese auch keine Erziehungsratgeber, bereite keine Babybreichen zu, noch züchte ich eigens Pastinaken dafür in unserem Garten.
Auf der Suche nach einer geeigneten Schule für Maya haben wir uns ein paar Möglichkeiten in der Nähe angeschaut. Ich bin in diesen Dingen grundsätzlich für wenig elitäre Lösungen, Viktoria wollte aber gerne eine Institution, in der die Kinder von Anfang an Englisch lernen würden. Ja mehr noch: Englisch sollte die Unterrichtssprache sein. Da bot sich für sie natürlich die Munich International School an. Nicht nur, weil mein ältester Sohn Oscar sie schon besuchte, sondern auch, weil sie ganz bei uns in der Nähe, hier am Starnberger See liegt. Wie immer in Momenten, in denen wir nicht derselben Meinung sind, suchten wir eine Kompromisslösung. Und immer, wenn wir eine Kompromisslösung suchen, finden wir keine und machen es am Ende so, wie Viktoria es von Anfang an geplant hat. Bevor es aber so weit war, haben wir uns noch ein paar Alternativen angesehen. In diesem Zusammenhang waren wir auch in der Montessori Schule bei uns in der Gegend. Die Schulleitung hatte zum Elternvorstellungstag gebeten und wir nahmen die Gelegenheit wahr, um das Haus und seine Erzieher in Augenschein zu nehmen. Genauer gesagt waren wir nicht in der Schule, sondern an der Schule. Doch dazu später.
An diesem Tag machten Viktoria und ich uns also auf den Weg. Die Montessori Schule ist auch nicht weit von unserem Haus entfernt. Viktoria fuhr und ich lümmelte mich in den Beifahrersitz. Unterwegs fing es schlagartig an zu regnen, sodass ich fast schon bereute, Viktoria ans Steuer gelassen zu haben. Verstehen sie mich richtig, ich lasse Viktoria gerne fahren. Mit Automatik-Getriebe. Bei schönem Wetter. Und vorwiegend gerader Strecke. In Gegenden, die sie kennt. Tagsüber. Also wenn’s hell ist. Und trocken. Aber bei Regen?
Als wir ankamen, hatte sich schon eine Autoschlange gebildet, die zunächst mal an einem kleinen Kreisel endete. Dort stand ein Mensch, der die Wagen auf die richtigen Parkplätze dirigierte. Ich erinnere mich, dass der Mensch mir leidtat, weil es immer noch in Strömen schüttete und er wohl klatschnass wurde, trotz seiner Regenkleidung und eines tief ins Gesicht gezogenen Regenhuts.
»Guck mal, die arme Sau hier im Regen«, sagte ich, während Viktoria den Wagen gerade behutsam an ihm vorbeilenken wollte, um den armen Mann nicht auch noch nass zu spritzen.
»Halt mal an, dass ist doch Punkt – Absatz!«, rief ich Viktoria zu. Punkt – Absatz hatten wir den Bauleiter getauft, der für den Umbau unseres Hauses verantwortlich gewesen war.
Wir hatten ihm diesen Namen gegeben, weil er unentwegt durch die Baustelle gelaufen war, für den Architekten die Reklamationen auf sein Diktiergerät gesprochen hatte und dabei von dem, der das Ganze später abzuschreiben hatte, pausenlos Punkte und Absätze gefordert hatte. »Dichtungsfugen im ersten OG undicht. Punkt, Absatz. Toilettendeckel in der Gästetoilette fehlt. Punkt, Absatz, und so weiter.
Richtig erkannt hatte ich ihn aber nur an seinem Pädagogen-Porsche, den er wieder mal unglücklich abgestellt hatte. Schon auf unserem Hof hatte er mich mit dem Volvo ständig zugeparkt. Ich bin zwar kein nachtragender Mensch, aber
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