Man lebt nur zweimal
doch irgendwann in Ruhe lassen, schließlich war Weihnachten.
Ich freute mich heimlich, wie man sich denken kann. Das Kindergeschrei, die Kirche, der fette Braten, das war alles so schön gewesen, dass ich gegen acht bereits völlig fertig war vor lauter Glück und schon mit heiligabendlichen Gefühlen an mein Bett dachte. Aber Viktoria, die alles vorbereitet und wunderschön hergerichtet hatte, war ein wenig enttäuscht. Wir saßen an unserem Küchentisch und betrachteten die Verwüstungen. Lediglich die Tannenspitze ragte noch als Symbol des friedlichen Festes aus dem Müllberg heraus.
»Da ist noch ein Geschenk«, sagte ich, um sie abzulenken, und zeigte auf den Boden. Tatsächlich, da lag ein ordentlich verpackter Quader unterm Weihnachtsbaum, kaum zu erkennen neben all dem zerfetzten Geschenkpapier, den zertretenen Plätzchen und den abgenagten Entenknochen.
»Ich kann nicht mehr«, sagte Viktoria, die vermutlich seit 17 Stunden das erste Mal wieder auf einem Hocker saß. Also erhob ich mich, holte das Geschenk und überreichte es ihr.
»Für dich, Schnuffi«, sagte ich. »Von Herzen.«
Gespannt öffnete sie das grüne Geschenkpapier. Und wickelte ein kleines Männlein aus.
»Ein Lokführer, wie toll«, sagte sie.
»Den hab ich mir schon immer gewünscht.«
Irgendein Kind musste jetzt im Besitz eines stattlichen Ringes sein.
Es gibt über mich einen alten Witz von Mike Krüger:
»Sitzen zwei Mücken in einer Kneipe. Sagt die eine: Guck mal, am Tresen sitzt Heiner Lauterbach. Sagt die andere: Stich du ihn, ich muss noch fahren.«
Es ist die eine Sache, dass ich schon bessere Witze gehört habe. (Einen zum Beispiel werde ich gleich anfügen. Es ist wirklich nur rein zufällig einer über Mike Krüger.) Das größere Problem an diesem Witz ist allerdings, dass jeder ihn sofort versteht.
In der Tat gibt es da wenig zu beschönigen. In der erste Hälfte meines Lebens habe ich garantiert mehr Zeit in Kneipen verbracht, als in meinem Wohnzimmer. Fast fünfzig Jahre lang war mein Leben dem Alkohol, dem Spiel, den Frauen und dem Vergnügen verschrieben. Und ich habe wohl alles gemacht, wovon ein Arzt dringend abraten würde.
Der österreichische Popstar Falco hat mal gesagt: Wer sich an die 80er Jahre erinnern kann, hat sie nicht gelebt. Wenn ich seinen Spruch adaptieren wollte, müsste ich sagen: Wer sich von 1972 bis 2001 an irgendwas erinnern kann, hat nicht gelebt. Hört sich aber blöd an. Auf Wunsch des Verlags nannte ich die Biografie über diese wunderschöne Zeit bekanntlich: Nichts ausgelassen . Das war das Ganze in etwas kürzer.
Mit meiner Wende habe ich dann im Bekanntenkreis für einige Überraschung gesorgt. Nicht wenige von meinen Freunden und Bekannten hätten ausgeschlossen, dass mir das gelingen würde. Das sagen sie heute noch. Uwe Ochsenknecht zum Beispiel. Er war damals einer der Ersten, die mich im Krankenhaus besucht haben, als ich das erste Mal wegen Vorhofflimmerns in stationärer Behandlung war.
Uwe ist ein guter Kollege, mit dem ich befreundet bin, seit wir 1985 zusammen den Film Männer gedreht haben. Er kennt mich also schon ein ganzes Weilchen.
Nach dem Tod von Bernd Eichinger telefonierte ich mit Til Schweiger. Wir drei waren ja gute Freunde und eine Zeit lang ziemlich heftig unterwegs. Til sagte: »Ganz ehrlich Heiner, wenn mir vor ein paar Jahren einer gesagt hätte, dass Bernd von uns dreien als Erster den Löffel abgibt, ich hätte ihm nicht geglaubt.« Ich weiß, was er eigentlich sagen wollte. Dass es sehr lange danach ausgesehen hatte, als wäre ich derjenige, der sich bald verabschiedete.
Auch sonst hätte wohl niemand gedacht, dass ausgerechnet ich mein Leben derart umkrempeln und eines Tages ein treusorgender, braver Familienvater werden könnte. Und schon gar nicht, dass ich das jetzt über all die Jahre durchhalten würde.
Viele haben mich später gefragt, wie ich das bloß geschafft hätte. Meine 180-Grad-Wende schien in der Tat erklärungsbedürftig. Ja, wie habe ich das geschafft?
Wenn ich das nur wüsste.
Aber ich versuche mich zu erinnern. Ich versuche aufzuzeigen, wie so was möglich ist.
Auf dass meine bescheidenen Ein- und Ansichten zu diesem Thema jemandem nützen mögen.
Aber davor noch der Witz über Mike Krüger.
Gerda Krüger hat einen Sohn. Fritzchen. Und einen Bruder. Mike. Fritzchen ist bekannt dafür, dass er seine freche Klappe nicht halten kann. Muss wohl in der Familie liegen. Eines Tages kündigt Mike seinen Besuch bei Gerda an. Die
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