Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Lauterbach
Vom Netzwerk:
hatte, wir stundenlang an der Phonethik gearbeitet und sie sich zudem ihr Stichwort eingeprägt hatte, ließ ich sie ziehen.
    Am nächsten Tag fuhren Viktoria und Kate zum Amt. Sie betraten den Raum und Viktoria legte dem Beamten die Unterlagen auf den Tisch. Dann fing sie an, ich fürchte viel zu auffällig, nach ihrer Brille zu suchen. (Ich bin froh, dass ich nicht dabei war – aber Viktorias mangelhaftes schauspielerisches Talent zu beheben, dafür hätte die Zeit nun wirklich nicht mehr gereicht.)
    »Sag mal Kate, wo habe ich denn meine Handtasche hingelegt?«, fragte sie das Au-pair-Mädchen in gespielter Zerstreuung. Das war das Stichwort. Wir hatten das ja mehrfach geübt.
    Jetzt kam Kates großer Auftritt. In überzeugendem, akzentfreiem Deutsch sagte sie den erlernten Satz. Ein Satz, von dem sie vermutlich nicht mal in Ansätzen verstand, was er zu bedeuten hatte, beziehungsweise, welches Wort genau davon »Auto« und welches »du« bedeuten sollte. »Die hast du im Auto gelassen. Soll ich sie dir holen?«
    Viktoria sagte daraufhin, wie verabredet: »Ja, das wäre nett, wenn du sie kurz holst!«
    Doch der Beamte winkte Kate schon zurück und lächelte Viktoria freundlich an. »Die brauchen sie doch gar nicht, ich unterschreibe ihnen das.« Er knipste einmal chefmäßig mit dem Kugelschreiber und nickte zu Kate hinüber. »Die kann das doch, das höre ich sofort!« Er war eben ein Profi. Und schon war das Papier unterschrieben. Ich hatte Kate verboten, danach noch irgendetwas von sich zu geben. In keiner Sprache dieser Welt. Keinen Mucks. Eher sollte sie eine Ohnmacht vortäuschen. Noch nicht mal »Auf Wiedersehen« durfte sie sagen. Sicher war sicher. Selbst ein Jahr später klang ihr »Auf Wiedersehen« noch wie »Äff Fädäscheeen« und hätte dem Profi sicher nicht gefallen.
    BEI MUTTERN
    Jedes Mal, wenn ich in Köln zu tun habe, besuche ich meine Mutter. Sie wohnt immer noch in Lindenthal, einem Stadtteil im Westen der Stadt, wo ich auch aufgewachsen bin.
    Meine Mutter kocht dann für mich, schön scharf, mit viel Knoblauch und Gemüse und frischen Kräutern vom Markt. Oder Matjes mit Pellkartoffeln. Ich weiß nicht wo und wie, aber meine Mutter treibt den besten Matjes auf, den ich je gegessen habe. Schon früher, wenn ich in Köln eine Produktion hatte, habe ich immer einmal pro Drehzeit die ganze Truppe eingeladen, Matjesessen bei Muttern. Das war legendär, und natürlich besonders großzügig von mir – meine Mutter hatte ja die Arbeit.
    Heute komme ich lieber allein. Sie ist 88, zwar noch rüstig, aber so eine riesige Gruppe will ich ihr nicht mehr zumuten.
    Wir sitzen dann nach dem Essen oft noch im Wohnzimmer und schauen in den Garten, den sie mit Hilfe meiner Schwester, die um die Ecke wohnt, in ein kleines Idyll verwandelt hat. Es gibt noch einen starken Espresso.
    Dann quatschen wir über Gott und die Welt. Über Politik, Sport, Kunst, Wissenschaft und den neuesten Klatsch. Mit meiner Mutter kann man prima reden. Über alles. Man merkt, dass sie die unzähligen Bücher, die in den Regalen ihres Wohnzimmers stehen, auch gelesen hat.
    »Du bist nachtragend geworden«, sagte sie bei einem meiner letzten Besuche und stellte die Tasse vor sich auf dem Tisch ab. »Was ich immer besonders an dir gemocht habe Heiner, war deine Toleranz.«
    Sie hört zwar inzwischen schlecht und die Augen funktionieren nicht mehr so gut, aber wie das immer so ist – in entscheidenden Momenten bekommt sie Ohren wie Rhabarberblätter. Deshalb hatte sie meine letzte Bemerkung wohl auch verstanden: »Von wem habe ich das wohl …«
    »Was meinst du?«, fragte sie.
    »Du bist doch genauso nachtragend, Maya.« (Ja, wir haben unsere Tochter nach meiner Mutter benannt.)
    Kinder kommen nicht auf fremde Leute – sagt der Kölner. Es wird in der Familie sogar eine Geschichte kolportiert, wonach meine Mutter einem ihrer Kindermädchen in den Kopf gebissen hat, weil die ihr ein kleines Medaillon stahl. Na, das nenn ich mal nachtragend. Überhaupt habe ich sehr viel von meiner Mutter, wohl bis hin zu meinem schauspielerischen Talent. Sie konnte schon immer gut die Nachbarn oder fremde Dialekte nachmachen.
    »Kann sein, dass ich nachtragend geworden bin«, überlegte ich. »Aber dann müssen sich die Leute eben nicht so verhalten, dass man Grund hat, nachtragend zu sein.«
    Ich war mir nicht sicher, ob ich mich dadurch eindeutig zum Schlechteren verändert hatte.
    »Würdest du dir denn wünschen, dass die anderen dich genauso

Weitere Kostenlose Bücher