Man nehme: dich und mich
konnte Frankie endlich mit Alex selbst reden. Sie war überglücklich seine Stimme zu hören, als könne sie erst jetzt richtig glauben, dass er wirklich noch lebte. Sein Segelpartner Reese Cutler dagegen wurde noch gesucht, und sie spürte, wie sehr ihn das belastete.
Wenigstens würde er nach Hause kommen. Sie versprach ihm, sein altes Zimmer für ihn herzurichten, und verabschiedete sich lächelnd.
“Sie haben es also gehört?”, fragte einer der Gäste von der Tür her.
“Was denn?”
Der Gast wedelte mit einer Zeitung. “Die Kritik in der
New York Times
.” Der Mann trat ein und legte die Zeitung aufgeschlagen auf den Tisch. Die Überschrift lautete:
Das White Caps: Ein Geheimtipp im Hinterland
.
Frankie lachte laut auf. Wer hätte gedacht, dass ein Restaurantkritiker den Weg zu ihnen gefunden hatte? “Kann ich die Zeitung behalten?”, fragte sie.
“Gern. Hauptsache, ich bekomme heute Abend einen Tisch.”
Freudestrahlend zeigte sie den Artikel Nate, der gerade Brotteig knetete. “Hast du das schon gesehen?”
Er überflog die Überschrift und den Autorennamen. “Na so was. Walter war hier.”
“Oh, Nate, das könnte uns retten. Das
White Caps
, meine ich”, verbesserte sie sich hastig. Schließlich waren sie keine Partner. “Jedenfalls herzlichen Glückwunsch.”
“Danke. Wann holst du Alex vom Flughafen ab?”
“Morgen Nachmittag.”
“Soll ich mitkommen?”
“Ist nicht nötig, danke. Ich wäre gern erst eine Weile mit ihm allein.”
Außerdem hatte sie das Gefühl, etwas Abstand zwischen ihr und Nate würde ihr guttun. Sie war ihm unendlich dankbar, dass er in den schrecklichen Stunden des Wartens für sie da gewesen war, aber es bedeutete auch, dass sie ihm gegenüber jetzt verletzlich war. Er hatte in ihr Innerstes geblickt und ihre Seele berührt.
Und in nur vier Wochen würde er weiterziehen.
Als Frankie am nächsten Tag mit Alex vom Flughafen zurückkam, erwartete Nate sie an der Hintertür. Frankie parkte den Wagen und sprang heraus, doch bevor sie es bis zur Beifahrertür geschafft hatte, war Alex mithilfe seiner Krücken schon selbst ausgestiegen.
Er war ein hochgewachsener Mann mit athletischem Körperbau. Seine dunklen Haare waren von sonnengebleichten blonden Strähnen durchzogen, er war braun gebrannt und trug Shorts und ein Poloshirt. Stur weigerte er sich, Frankies Hilfe anzunehmen, und machte sich allein auf den Weg zum Haus.
Als er Nate in der Tür stehen sah, kniff er die Augen zusammen.
“Das ist unser neuer Koch, Nate. Nate, mein Bruder Alex”, stellte Frankie vor.
Entweder war Alex es gewöhnt, sich auf Krücken fortzubewegen, oder er war außergewöhnlich geschickt – jedenfalls legte er den Weg zur Tür bemerkenswert schnell und sicher zurück. Als Nate ihm die Hand hinstreckte, klemmte er sich die rechte Krücke unter den Arm und ergriff die gebotene Rechte.
Obwohl der Händedruck fest war und Alex ihm freundlich zunickte, spürte Nate doch deutlich die Botschaft, die der Mann ihm mit seinem Blick sandte: Wenn du meiner Schwester Kummer machst, bekommst du es mit mir zu tun.
Aber da war er bei Nate an den Falschen geraten. Sicher, Alex hatte eine Menge durchgemacht, aber das war noch kein Grund, sich von ihm herumschubsen zu lassen. Sobald Nate Gelegenheit dazu bekam, legte er Frankie den Arm um die Schultern. Und als sie sich nicht von ihm losmachte, zog er sie eng an sich und schaute ihrem Bruder dabei herausfordernd in die Augen.
Am Abend bekam Alex einen Anruf von der Küstenwache. Daran, wie er in sich zusammengesunken die Treppe hinaufhinkte, sah Frankie, dass er schlechte Nachrichten bekommen hatte. Reese Cutler war tot.
Sie wäre Alex am liebsten gefolgt, wusste jedoch, dass er wie sie dazu neigte, seine Gefühle vor anderen zu verbergen und alles mit sich selbst abzumachen. Außerdem wurde sie im Restaurant gebraucht. Alex’ Rückkehr schien Grand-Em noch mehr durcheinanderzubringen, und Joy konnte sie keinen Moment mehr aus den Augen lassen.
“Verzeihung?”
Die fordernde Frage riss Frankie aus ihren Gedanken. Vor ihr stand eine umwerfend schöne Frau – blonde, lange Haare, teures Designerkostüm, die Seidenbluse tief ausgeschnitten.
“Ich will mit Nate sprechen”, verlangte sie und schaute dabei ungeduldig auf ihre diamantbesetzte Uhr.
“Tut mir leid, er ist sehr beschäftigt.”
“Sagen Sie ihm, dass Mimi hier ist. Und ich will einen Tisch. Dort drüben.”
Sie zeigte quer durch den Raum zu den Fenstern mit Seeblick.
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