Man nehme: dich und mich
lasse dich trotzdem nicht allein.”
Nach langem Schweigen sagte sie leise: “Das erinnert mich alles so furchtbar an die Nacht, in der meine Eltern starben. Dieses Warten. Wie langsam die Zeit vergeht. Aber wenigstens bin ich diesmal nicht schuld.”
“Am Tod deiner Eltern warst du auch nicht schuld”, sagte Nate stirnrunzelnd.
“Doch. Ich habe meine Mutter getötet.”
Frankie sah Nates ungläubigen Blick, doch zum ersten Mal seit über zehn Jahren machte es ihr nichts aus, darüber zu reden. Ganz im Gegenteil. Sie war unendlich dankbar, dass Nate bei ihr blieb und ihr zuhörte.
“Schon damals lief die Pension nicht mehr so gut”, erzählte sie, “und mein Vater fing an, alte Segelboote zu restaurieren. Alex half ihm dabei, sie hatten die Werkstatt in der Scheune eingerichtet. An jenem Nachmittag hatte mein Vater gerade wieder ein Boot fertig und wollte eine Testfahrt machen. Doch im Frühling kann das Wetter hier stündlich wechseln, und es kam ein schwerer Sturm auf. Später fand man heraus, dass der Bootsmast gebrochen war – offenbar wurde Dad am Kopf getroffen und fiel bewusstlos in den See.”
Sie holte tief Luft und sprach dann schnell weiter. “Mein Vater war ein fantastischer Schwimmer, deshalb machten wir uns zunächst keine Sorgen. Die Wellen waren hoch, aber nicht so hoch, dass er es nicht bis an Land geschafft hätte. Meine Mutter und ich haben etwa eine Stunde gewartet, dass er wohlbehalten an Land geht – und dann doch den Sheriff angerufen. Aber sie konnten ihn nicht suchen, weil sie eine Pfadfindergruppe retten mussten, die auf dem See mit Kanus unterwegs war. Also nahm meine Mutter das Angelboot meines Vaters und fuhr auf den See hinaus. Es war nur ein kleines Holzboot mit einem Außenbordmotor. Mir sagte sie, ich solle hier bleiben und auf Joy aufpassen.”
Frankie tat das Herz weh, als sie an den Tag dachte, an dem sie ihre Mutter das letzte Mal gesehen hatte.
“Meine Mutter konnte nicht mal schwimmen, während ich ganz nach meinem Vater schlug und sogar die Schulmeisterschaft im Schwimmen gewonnen hatte. Das werde ich mir nie verzeihen – dass ich sie als Nichtschwimmerin in einem wetteruntauglichen Boot bei Sturm auf den See hinausfahren ließ. Sie trug nicht mal eine Schwimmweste, dabei hatten wir die im Haus, für die Gäste. Ich hätte sie aufhalten müssen, sie zumindest zwingen müssen, eine Schwimmweste anzulegen, ich hätte an ihrer Stelle hinausfahren sollen …” Ihre Stimme brach.
“Frankie …”
Sie hörte schon an seinem Tonfall, dass er sagen wollte, es sei nicht ihre Schuld gewesen, und unterbrach ihn. “Nein. Ich bin hier aufgewachsen. Ich kannte den See. Es war unverantwortlich von mir, sie hinausfahren zu lassen.”
“Aber hast du mal daran gedacht, dass sie die Mutter war und nicht du?”, fragte er sanft. “Sie hat ihr Kind beschützt, deshalb ließ sie dich nicht mitkommen.”
“Ich weiß nur, dass sie noch leben würde, wenn ich damals rausgefahren wäre. Dann hätte Joy wenigstens noch eine Mutter.”
“Du lädst dir eine Menge Verantwortung auf.”
“Wem denn sonst? Joy war in ihrem Zimmer, Alex gar nicht zu Hause. Ich war diejenige, die auf dem Bootssteg stand und meine Mutter nicht aufgehalten hat. Noch heute habe ich Albträume deswegen. Manchmal kann ich sie beide retten. Manchmal kommt sie allein zurück. Aber meistens stehe ich nur auf dem Bootssteg und warte. Warte und warte und warte.” Verzweifelt sah sie ihn an. “So wie heute.”
Nate wollte sie in die Arme ziehen, doch sie hob die Hände. “Wenn du mich jetzt umarmst, werde ich weinen.”
“Dann tu das. Das ist in Ordnung. Hauptsache, ich kann dich festhalten.”
Irgendwo klingelte eine Alarmglocke. Frankie regte sich unbehaglich. Ihr Rücken tat weh, ihr Hals war steif …
Als sie die Augen aufmachte, sah sie, dass sie in Nates Armen im Büro auf dem Boden geschlafen hatte. Und was sie hörte, war das Telefon.
Sie kam auf die Beine und tastete sich im Dunkeln zum Schreibtisch. “Hallo?”
“Frances Moorehouse? Hier spricht Commander Montgomery. Ihr Bruder wurde gefunden. Er ist verletzt und muss im örtlichen Krankenhaus wegen mehrerer Knochenbrüche behandelt werden. Aber er lebt, und in zwei Tagen kann er nach Hause geflogen werden.”
Frankie schlug die Hand vor den Mund, unfähig, die Tränen zurückzuhalten. Sie schaffte es noch, den Hörer aufzulegen, dann warf sie sich in Nates Arme. “Er lebt. Er lebt. Er lebt …”
Am darauf folgenden Nachmittag
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