Manche Maedchen muessen sterben
vorher auch war, sonderbar verdreht zwischen dem Boot und dem Pier eingeklemmt, nur dass mittlerweile beide meiner Stiefel längst fort sind. Und ich sehe auch nicht mehr so heiß aus. Nicht dass ich mich besonders hübsch gefunden hätte, als ich meine Leiche entdeckte, doch ein paar Stunden länger in dem kalten Salzwasser haben meiner Haut auch nicht gerade gutgetan. Und mehr will ich dazu lieber nicht sagen.
Alex folgt mir auf das Deck des Bootes. »Nur zu«, sagt er. »Geh rein.«
Und das tue ich. Einfach so. Als wäre da überhaupt keine Tür oder so was. So verängstigt ich auch sein mag, irgendwie bin ich auch ein klein bisschen erheitert. Ich bin jetzt ein übernatürliches Wesen .
Als wir das Boot betreten, drängen sich all meine Freunde am Heck zusammen, wo sie ruhig beisammensitzen.
»Sollen wir zu ihr nach Hause gehen und nachsehen?«, fragt Mera.
»Gutes Timing«, sagt Alex. »Sie reden gerade über dich.«
Wir setzen uns auf die Stufen und schauen zu. Ich betrachte Richie, der mir direkt gegenüber auf dem Sofa sitzt. Er hat meine Handtasche auf dem Schoß und mein Handy in der Hand. So weit sind sie also schon – sie wissen, dass ich verschwunden bin, und jetzt wirkt Richie besorgt. Vermutlich weiß er, dass ich nicht nach Hause gehen würde, ohne meine Handtasche mitzunehmen. Und auf keinen Fall hätte ich mein Handy liegengelassen. Es ist so was wie meine Nabelschnur zur Außenwelt; das war schon so, als ich mit zehn Jahren mein erstes bekam, und seither wäre ich ohne einfach verloren.
Oh Richie. Ich will zu ihm gehen und meine Arme um ihn legen. Für einen Moment schließe ich die Augen und stelle mir seine Berührung vor.
Plötzlich, beinahe ruckartig verschwindet das unangenehme Kältegefühl, und ich fühle mich, als würde ich in einem warmen Bad untertauchen, bloß, dass ich atmen kann. Es ist wie zuvor, als ich Alex meine Hand auf die Schulter legte und ihm in seine Erinnerung in der Schule gefolgt bin. Meine Umgebung wirbelt bis zur Unkenntlichkeit durcheinander, und dann stehe ich auf einmal am Rande des Gemeindespielplatzes von Noank. Vor mir sind zwei erwachsene Frauen, Seite an Seite. Beide geben Kleinkindern Schwung, die auf der Schaukel sitzen. Ein Junge, ein Mädchen. Das Mädchen bin ich. Ich kann nicht älter als zwei sein.
»Sie ist bezaubernd«, sagt die Mutter des kleinen Jungen mit einem Nicken in meine Richtung. Sie lächelt meine Mom an.
Meine Mom! Ich starre sie an, versuche, alles in mich aufzunehmen. Dies ist das erste Mal seit neun Jahren, dass ich sie sehe, von Fotos mal abgesehen. Ich will mich an ihr festhalten, mich neben ihr zusammenrollen, hören, wie sie mir ins Ohr flüstert. Mein ganzer Körper schmerzt von dem Wissen, dass ich zu nichts davon imstande bin. Ich will ihr sagen, wie sehr ich sie liebe, obwohl sie uns verlassen hat. Obwohl sie mich verlassen hat, ihr kleines Mädchen. Ich war neun Jahre alt, und sie ließ mich allein, so dass ich nur von meinem Vater großgezogen wurde, zumindest, bis er und Nicole heirateten.
Früher war ich so unglaublich wütend auf sie gewesen, weil sie »zugelassen« hatte, dass sie starb. Doch ich erholte mich von meinem Verlust; ich verzieh ihr. Jetzt will ich nichts mehr, als mit ihr zusammen sein – wirklich mit ihr zusammen sein –, selbst wenn das bedeutet, dass ich nicht mehr am Leben bin.
Als meine Mutter mich bekam, war sie erst vierundzwanzig, so dass sie hier jetzt Mitte zwanzig sein muss, und sie ist wunderschön. Sie hat langes blondes Haar, fast im selben Farbton wie meins, und ist beinahe einsachtzig groß. Jetzt schenkt sie der anderen Frau ein nervöses Lächeln. Nicht einmal, als ich noch lebte, konnte ich mich an so viele Einzelheiten über meine Mom erinnern, doch ich entsinne mich, dass mein Vater mir erzählt hat, sie wäre in Gegenwart von Fremden stets sehr schüchtern gewesen.
»Ich bin Lisa«, sagt meine Mom. »Und das ist Elizabeth. Mein Mann und ich sind gerade von der anderen Seite von Mystic ins alte Haus seines Vaters gezogen, in der High Street.«
»Oh! Dann seid ihr unsere neuen Nachbarn!« Die andere Frau ist alles andere als schüchtern, nicht in Gegenwart von Fremden oder irgendwem sonst. »Ich wusste, dass ich Sie kenne. Ich bin Amy Wilson. Und das ist mein Sohn Richie.«
Eine Sekunde lang sehe ich, wie Amys Blick über den Körper meiner Mutter wandert. Trotz ihrer Größe wiegt sie vermutlich nicht mehr als sechzig Kilo. Man kann ihre Hüftknochen durch ihre Shorts
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