Manche Maedchen muessen sterben
spreche, sind meine Worte schnell und hektisch. »Ich will nach Hause. Du hast gesagt, ich kann nach Hause. Wie mache ich das?«
»Sie werden gleich deine Eltern anrufen, Liz.« Er schüttelt den Kopf. »Das ist keine gute Idee.«
Ich starre ihn an. Für wen zum Teufel hält er sich, dass er mir sagt, was ich tun und lassen kann? »Ist mir egal. Ich will nach Hause.«
»Bist du wirklich sicher, dass du das sehen willst? Ich sage dir, es wird dir das Herz brechen.«
»Jetzt sofort«, erkläre ich ihm nachdrücklich. »Bevor es zu spät ist. Bevor sie den Anruf bekommen.«
»In Ordnung«, sagt er, offenkundig widerstrebend. »Es funktioniert genau wie vorhin, als du mit mir in die Erinnerung eingetaucht bist. Schließ einfach die Augen und stell dir vor, in deinem Haus zu sein.« Er zögert. »Möchtest du, dass ich dich begleite?«
Mein Atem ist zittrig. Ich will ihn nicht bei mir haben; ich mag ihn nicht einmal. Aber andererseits will ich auch nicht allein sein.
»Ja«, sage ich schließlich. »Kommst du mit?«
Er schaudert beinahe. »Dann wirst du mich wieder berühren müssen.«
»Oh, wie grässlich für dich.« Ich zwinge mich dazu, mit einer Hand seine Schulter zu umklammern. »Schließ die Augen«, befehle ich. »Lass uns gehen.«
Meine Eltern schlafen noch. Ich nenne sie meine Eltern; ich habe meine Stiefmutter Nicole die letzten acht Jahre über »Mom« genannt, seit sie meinen Vater geheiratet hat. Ich weiß, es mag seltsam erscheinen, dass sie diese Rolle so schnell übernommen hat – meine Mom war noch kein Jahr tot, als Nicole und mein Dad heirateten –, aber ich war so jung. Und wie ich schon sagte, ich war wütend auf meine Mutter, weil sie uns verlassen hatte. Nicole war immer nett zu mir. Und als ich sie als Stiefmutter bekam, bekam ich auch Josie. Plötzlich hatte ich eine Schwester. Wir waren die besten Freundinnen. Es war, als fände jeden Abend eine Pyjamaparty statt.
Ich versuche, nicht daran zu denken, was gerade auf dem Boot passiert. Einige Sekunden lang stehe ich am Fußende des Bettes und betrachte sie, während sie friedlich schlafen, sehe zu, wie sie im Traum unbefangen atmen. Ich weiß, dass dies vermutlich für sehr lange Zeit ihre letzte ruhige Nacht sein wird.
Mein Vater sieht aus wie ein Bär; er ist ein großer Bursche, kräftig gebaut. Er mag Scotch und Zigarren und gutes Essen. Obwohl Sonntag ist, überrascht es mich, dass er zu Hause ist; ich erinnere mich daran, dass er praktisch immer gearbeitet hat. Er ist Firmenanwalt, was ein ziemlich stressiger Job ist. Manchmal denke ich, er ist ein Workaholic; als ich vierzehn war, hatte er einen leichten Herzinfarkt, was ihn aber nicht davon abgehalten hat, keine zwei Wochen später wieder zur Arbeit zu gehen.
Ist schon komisch; nachdem meine Mom starb, habe ich mich stets sehr um die Gesundheit meines Vaters gesorgt. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie das Leben wohl ohne ihn wäre. Ich denke, nachdem ich so früh einen Elternteil verloren hatte, habe ich mich innerlich insgeheim die ganze Zeit über dafür gewappnet, dass auch der andere Schuh fällt. Um es mal so auszudrücken.
Mir wäre niemals in den Sinn gekommen – keine Sekunde lang –, dass ich vor meinem Dad sterben könnte. Ich bin erst achtzehn! Achtzehnjährige sollten nicht sterben müssen.
Doch Alex starb auch, und da war er gerade siebzehn. Und jetzt ich. Ich kann nicht aufhören, mich zu fragen: Warum sind wir zusammen hier? Ich kannte ihn zu Lebzeiten ja kaum. Er war ruhig, schüchtern, offensichtlich ein Einzelgänger. Doch trotz unserer augenscheinlichen charakterlichen Differenzen muss ich zugeben, dass es wesentlich besser ist, jemanden zum Reden zu haben, als das alles allein durchzumachen, so wie Alex das vergangene Jahr über.
Während Alex mich beobachtet, krabble ich vorsichtig – als hätte ich Angst, sie zu wecken – zu meinen Eltern ins Bett, zwischen sie, oben auf der Daunendecke. Das habe ich das letzte Mal gemacht, als ich noch sehr klein war, und bloß bei meinen richtigen Eltern, niemals bei meinem Dad und Nicole. Doch im Augenblick habe ich das Gefühl, als könnte ich nicht anders.
Ich liege zwischen ihnen und lausche ihren ruhigen Atemzügen. Genau wie zuvor meine Freunde, kann ich sie nicht wirklich berühren. Es ist, als würde mich irgendeine unsichtbare Macht daran hindern, eine richtige Verbindung zu ihnen herzustellen, ganz gleich, wie sehr ich mich auch bemühe.
Ich betrachte das volle, älter werdende Gesicht meines
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