Mandels Buero
geht es wohl mehr um den Anspruch, neben der erfolgreichen Karriere als Schauspielerin der Vollständigkeit halber auch noch die Mutter zu geben. Ich glaube eh, mit Veronika und Leo haben sich zwei gnadenlose Egoisten gesucht und gefunden, die mit möglichst wenig Kompromissen ihrer eigenen Karriere stets den Vorzug gegeben haben. Und ich glaube auch, dass Leo der Veronika nie so ganz über den Weg getraut hat. Aber wie auch? Wenn ich schon diese gekünstelt superwachen Augen sehe, dann weiß ich doch, dass Veronika Malleck eine einzige Maskerade ist, ein lebenslanger Kostümball. Im Gegensatz dazu wollte sich Leo aber von seinem Egoismus befreien. Für Leo waren ich und sein Soloalbum die Chance, sich moralisch zu rehabilitieren. Es war der Auftakt zu seinem zweiten Leben, so hat er das formuliert.«
»Wie alt bist du eigentlich jetzt?«, fragte ich Lana.
»Achtzehn. Bald neunzehn.«
»Können wir die CD jetzt eigentlich mal anhören?«, fragte der Mandel.
»Sorry, der CD -Player im Auto ist leider kaputt«, sagte Lana.
Zweiundzwanzig
Gottseidank und natürlich kannte der Mandel in Hamburg jemanden, sonst hätten wir uns von Lana auch noch Geld für die Übernachtung ausleihen müssen. Weil beim Schredder im Haus schlafen, das wäre nach der aktuellen Sachlage nicht infrage gekommen. Wir waren schon ausreichend in die Verwandtschaftsverhältnisse der Tilmanns und Schröders verstrickt, man muss es nicht übertreiben. Der Mandel wollte mich eigentlich noch nachts in die Notaufnahme verfrachten wegen dem Loch im Bauch, aber ich wollte nur noch schlafen. Und so durfte ich als Schwerverletzter im Doppelbett vom Harry Wagner übernachten, während der Harry Wagner und der Mandel auf der Couch schliefen. Der Harry Wagner war der Gründer der Hamburger Plattenfirma Goldene Zeiten und hatte früher ziemlich eigensinnige deutsche Musik veröffentlicht. Jetzt arbeitete er für einen großen Anbieter von Handy-Software und Klingeltönen. Aber immerhin als Abteilungsleiter für das Ressort Music & Entertainment. Der Harry Wagner hätte natürlich gerne gewusst, wer mich angestochen hatte und warum wir weder Portemonnaies noch Telefone bei uns hatten, aber mit der Wahrheit ist der Mandel dann dieses Mal doch sparsamer umgegangen. Kleiner Raubüberfall auf Rügen, das musste dem Harry Wagner reichen.
»Auf Rügen?«, hatte der Harry Wagner ungläubig gefragt.
Am nächsten Morgen fuhr mich der Harry Wagner ins Krankenhaus Altona, wo sich die Ärzte meinen Bauch anschauten. Nein, Krankenkassenkarte hatte ich leider nicht dabei. Was mir denn passiert sei, wurde ich gefragt. Und ich sagte das, was wahrscheinlich alle sagen, die mit Messerstichen ins Krankenhaus eingeliefert werden.
»Wir haben ein bisschen was getrunken gestern Nacht, na ja, ein paar Bier halt und vielleicht einen Schnaps, und ich wollte gerade den Tiroler Bauernschinken aufschneiden, bin aber über das Ladekabel vom Laptop gestolpert und ins Brotmesser gefallen.«
»Wenn Sie jetzt in Lebensgefahr schweben würden, müssten wir die Polizei rufen«, sagte der Arzt, ein großer Mann mit so dichtem braunem Haar, dass man hätte meinen können, er trägt eine Mütze.
»Tu ich also nicht?«
»Was tun Sie nicht?«
»In Lebensgefahr schweben.«
Und da hat der Arzt dann lachen müssen.
Man schaute im Anschluss unter meine Bauchdecke, damit man sehen konnte, was der Pickelige angerichtet hatte. Mehr als die Bauchdecke war aber nicht beschädigt. Keine Organe waren angestochen, und auch sonst hatte sich nichts entzündet. Wahrscheinlich reinigte der Pickelige sein Messer immer mit Alkohol. Kann man froh sein, wenn ein Messerstecher einen hygienischen Umgang mit seinem Sportgerät pflegt.
Nachdem man mich zugenäht hatte, hätte man mich natürlich gerne noch dabehalten, aber alleine in einem Hamburger Krankenhaus, wo man niemanden kennt, danach war mir nicht. Also verließ ich unter Protest des Arztes mit der Haarmütze und unter seiner Drohung, der Krankenkasse Bescheid zu sagen, das Krankenhaus.
Es war ein sonniger Samstag, T-Shirt-Wetter mitten im April. Hinz und Kunz auf der Straße. Für einen kurzen Moment vergaß ich, in was für einer misslichen Lage wir uns immer noch befanden. Ich saß einfach auf den Stufen vor der Klinik und dachte an den kommenden Sommer, und wie ich mit neuem Selbstbewusstsein unter die Leute gehen würde, jetzt wo ich mit einer bekannten Schauspielerin geschlafen hatte und angestochen worden war. Auf den Grillfesten würde ich
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